piwik no script img

Aufgepost!

Pünktlich zu ihrem Börsengang droht der Post eine Klage in Milliardenhöhe

Ein defektes Stromkabel flickt man jedoch besser mit einem echten Isolierband

Einen aufschlussreichen Wettlauf konnte man neulich vor einer Bielefelder Buchhandlung beobachten, als dort etwa zeitgleich ein Paketzusteller der Post und ein Kollege von der braunen Konkurrenz vorfuhren, um die Buchhandlung zu beliefern. Der Postler hatte sich, wenn auch unter grober Missachtung der Vorfahrt seines Konkurrenten, den ausladegünstigeren Parkplatz erkämpft. Der Braune musste notgedrungen mit einem etwas weiter entfernten Halteplatz vorlieb nehmen. Ohne sich auch nur eines Blickes zu würdigen, beeilten sich nun beide, ihre Lieferungen in die Buchhandlung zu karren. Dabei schien jetzt der Postler der etwas Langsamere zu sein. Während nämlich am gelben Lieferwagen noch sortiert und gepackt ward, schob der braune Bote bereits seine Fuhre mannshoch und flotten Schritts gen Bücherei. Ehe er jedoch den Eingang erreichte, kam ihm ebenso unerwartet wie blitzschnell der Postmann zuvor. In geradezu unglaublichem Tempo schoss er hinter seinem Lieferwagen hervor und schnitt mit seiner nicht minder hoch beladenen Sackkarre die des anderen derart, dass dieser scharf abbremsen musste und, darüber leicht ins Schlingern geratend, nachgreifen und die oberen seiner Packen sogar neu stapeln musste. Ungebremst aber schob der Postler an ihm vorbei als Erster in den Laden. Mehrere Kunden der Buchhandlung, die diesen Wettlauf verfolgt hatten, staunten nicht schlecht. Einer sagte: „Ganz schön zackig, die Post“, und ein anderer ergänzte: „Vielleicht sollte man doch ein paar gelbe Aktien zeichnen.“ Ja, das Zutrauen in die Post, deren Zackigkeit sich im allgemeinen Bewusstsein bislang überwiegend auf die Ränder ihrer Briefmarken beschränkte, hat kurz vor ihrem Börsengang durchaus spürbar zugenommen.

Umso ungelegener käme da wohl jene Schadensersatzklage, die ausgerechnet jetzt die Vereinigung der Deutschen Klebwarenindustrie im Verbund mit der Interessensgemeinschaft Heftpflaster e. V. gegen die Deutsche Post AG angekündigt hat.

Die Klebebranche sieht sich in ihrem angestammten Terrain von der Post bewildert, und zwar ausgerechnet durch deren Briefmarken. Seitdem die in ihrer jetzigen Darreichungsform, nämlich als gerahmte Zehnerblocks, ausgegeben würden, nutzten immer mehr Verbraucher die abzutrennenden Rahmen dieser Briefmarkensets als Klebestreifenersatz. Die bis zu 15 Zentimeter langen Streifen böten so eine quasi kostenlose Alternative zum wohl gängigsten Produkt des Klebwarengewerbes, dem landläufig als Tesafilm bekannten Klebestreifen. Die Absatzeinbußen speziell bei diesem Produktsegment seien mittlerweile so enorm, dass man um eine Schadensersatzklage gegen die Deutsche Post AG kaum noch herumkäme.

Zum Beweis des verbreiteten Missbrauchs wurde Freitag im Berliner „Haus des Klebstoffs“ eine umfangreiche Sammlung präsentiert, durch die sehr fasslich veranschaulicht wird, was die Deutschen mit den gummierten Briefmarkenrahmenstreifen mittlerweile so alles kleben. Ob gebrauchte Briefkuverts, eingerissene Einkaufszettel oder ausgefranste Buchseiten – es sieht zwar nicht sehr ansehnlich aus, dennoch lässt sich mit den Leckstreifen der Post eine Menge teuren Tesafilms einsparen. Ein defektes Stromkabel flickt man jedoch besser mit einem echten Isolierband denn mit dem Randstreifen der Briefmarkenzehnerserie des Motivs „Landtag Nordrhein-Westfalen“, wie es ein Verbraucher in Verl tat, ehe er infolge Stromschlags verstarb. Auch nicht ratsam scheint es, eine Schnittwunde im Finger statt mit einem sterilen Heftpflaster mit dem Randstreifen des Briefmarken-Motivs „Herbert Wehner“ zu versorgen. Die Frau aus Bad Oeynhausen, die das tat, lebt inzwischen auch nicht mehr.

Die Deutsche Post AG hat sich in dieser Angelegenheit bislang nicht geäußert. Angenommen jedoch, sie würde per einstweiliger Verfügung dazu verdonnert, die Darreichungsform ihrer Briefmarken kurzfristig zu ändern, würde das wohl einen Kostenaufwand verursachen, der den gerade angelaufenen Börsengang ernsthaft gefährden könnte. Immerhin war heute, wenn auch bloß hinter vorgehaltener Hand, zu erfahren, dass die Post eh plane, die gerahmten Briefmarkensets abzuschaffen, da das umständliche Abtrennen der Rahmen von den Briefmarken immer mehr Postkunden wie eine lästige und zeitraubende Schikane erscheine. Was es ja auch ist. FRITZ TIETZ

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen