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auf der suche nach der deutschen leitkulturEine Recherche der taz und des KulturRadios Lotte in Weimar*

„Leitkultur bedeutet letztlich eine Dominanzkultur, die Menschen ausgrenzt“

Birgit Rommelspacher, Sozialwissenschaftlerin in Berlin, Professorin an der Alice-Salomon-Fachhochschule

Ich wehre mich schon deshalb gegen den Begriff der „deutschen Leitkultur“, weil ich von niemandem gesagt bekommen möchte, wie ich mich zu verhalten habe. Der Sinn der Demokratie ist doch gerade, dass die Normen, die wir uns selbst geben, immer wieder neu ausgehandelt werden müssen. Davon kann selbst das Grundgesetz nicht ausgenommen werden. Selbst wenn ich sage, dass die deutsche Sprache ein Leitmedium in Deutschland ist, bleibt immer noch der autoritäre Zungenschlag in der Silbe „Leit“. Denn gerade andersherum zäumt sich das Pferd doch auf: Gerade weil im Kindergarten, in der Schule, wo auch immer, darauf bestanden wird, dass „hier Deutsch gesprochen“ wird, gerade darum haben die Menschen nicht deutscher Herkunftssprache schlechtere Chancen. Die multikulturelle Gesellschaft in Deutschland aber ist ganz einfach ein Fakt. Und das müsste heißen: Fördermaßnahmen für Kinder, die schlecht Deutsch sprechen. Bevor wir „den anderen“ aber nicht diese Chance geben, an der Verkehrssprache Deutsch teilzunehmen, sollten wir mit dem Leiten unserer Kultur doch recht vorsichtig sein. Als ein politisches Programm hingegen ist der Begriff der multikulturellen Gesellschaft einfach deshalb problematisch, weil er das Thema Kultur überbetont und die Machtverhältnisse und die ökonomischen Verhältnisse vernachlässigt. Deshalb gebrauche ich hier den Begriff der Dominanzkultur – und das heißt, dass mittels des Vormachtsanspruches einer Kultur Menschen sozial, ökonomisch, hinsichtlich Bildung, Wohnen, in der medizinischen Versorgung ausgegrenzt oder schlechter behandelt werden. Durch den Anspruch der Leitkultur würden diese Verhältnisse zementiert oder verstärkt.

Eine Dominanzkultur gibt es überall in der westlichen Welt. In Deutschland bekommt sie ihr besonderes Gesicht, weil es diese enorme Fixierung auf die ethnische Homogenität gibt, also der Grundsatz existiert, dass alle Deutschen vom gleichen Blute sein müssen.

* „Zuwanderer müssen sich der deutschen Leitkultur anpassen“ (Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion)

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