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Blasen in Lederhose

■ Von Mozart bis Xenakis: Breites Programm charakterisierte das Philharmonische Konzert

Bei den Philharmonischen Konzerte dieser Saison wird viel Seltens zu hören sein, auch das eine oder andere aus dem 20. Jahrhundert. Das ist noch immer gewöhnungsbedürftig, wie jetzt die nach der Pause sichtbar leereren Reihen beim Glocke-Konzert zeigten. Denn da gab es – nach Mozart und Michael Haydn – Igor Strawinsky und Iannis Xenakis. Dass es in der Philharmonischen Gesellschaft ProgrammplanerInnen gibt, die ein solch zeitgenössisches Programm trotz Reserviertheiten seitens des Publikums für selbstverständlich halten, ist sehr lobenswert.

Mutig, mit Mozart zu beginnen. Ist man sehr streng, war die Wiedergabe der von verletzlicher Bläser-Streicher-Balance charakterisierten großen Jupiter-Sinfonie unter der Leitung von Michael Swierczewski in genau diesen Perspektiven auch mindestens labil. Aber es war eine spritzige und engagierte Aufführung. Dramatische Aspekte der Nähe zu Don Giovanni wurden ebenso herausgemeißelt wie die hybride Formexplosion des letzten Satzes – die Kopplung einer Fuge mit der Sonatensatzform – regelrecht herausgeschleudert wurde.

Mit Christian Lindberg kam mehr als ein Soloposaunist auf die Bühne: ziemlich enge Lederhose, Goldkettchen und eine Selbstverliebtheit in seine Kunst machten den Schweden zu einer wahren Performance. Nach atemberaubenden Blaskünsten zwinkert er ins Publikum, als wolle er sagen: „Na? Toll?“ Spaß beiseite, kaum einer hat so viel für die Entwicklung seines Instrumentes getan wie er. Mit einem Konzert von Michael Haydn zeigte er eine klangliche Flexibiliät und Geläufigkeit, die die schwere Blastechnik der Posaune vergessen ließen: dass nämlich jeder Ton allein durch Blasen erzeugt wird.

Noch stärker waren diese Fähigkeiten in Xenakis „Trooerkh“ für Posaune und Orchester aufgehoben. Das Stück, ein Auftragswerk des Schwedischen Rundfunks, ist eines der schwächeren von Xenakis, aber Swierczewski organisierte gut die bohrende Intensität und Lautstärke. Und Lindberg, der auch die Uraufführung 1993 gespielt hatte, ließ nicht die geringste Möglichkeit aus, dieses Feuerwerk von Einfällen auf uns niederprasseln zu lassen. Hier kommt der körperliche Aspekt des Interpretierens so aufregend zur Geltung, dass die, die gegangen sind, etwas versäumt haben, was sie bei keinem klassischen Konzert so erleben können.

Die „Psalmensinfonie“ von 1930 stammt aus der Stilperiode Strawinskys, die mit dem Schlagwort „Neoklassizimus“ eher abgewertet wird. Aber mit der Zitation von drei Psalmen nähert sich Strawinsky dem Ritual, lässt Archetypisches entstehen. Dieser Aspekt wurde in der Wiedergabe durch die Singakademie vernachlässigt, da klang vieles künstlich. Nichtsdestotrotz: ein anregendes, auch spannendes Konzert mit einem solistischen Unikum im Mittelpunkt.

Ute Schalz-Laurenze

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