: Der Trend, er geht zum Fisch
Dem Nachwuchsliteraturwettbewerb open mike macht sein großer Erfolg zu schaffen
Herr Rapp sucht den Trend. Herr Magenau kennt ihn schon, aber er verrät ihn nicht. Herr Fest kennt ihn auch. Und verrät ihn sogar: „Der Trend geht zum Autobiograischen.“ Ja? Und das Niveau beim open mike in diesem Jahr? Auch darüber fallen schon nach der ersten Stunde die ersten Kritikerurteile. Müssen fallen. Herr Rapp will es so. „Kläglich im Vergleich zum Vorjahr.“ „Banal“, „langweilig“. „Eine neue Souveränität“ wird ausgemacht. „Textschönheit“ und „Glanz“ und „Glück“. Und Flucht. Ja, Flucht. „So viel geflüchtet wurde in den Texten noch nie.“ „Der Fisch, das ist ein Leitmotiv in diesem Jahr.“ Die alljährliche Quotierung (Ost/West, Mann/Frau, experimentell/traditionell) wird beklagt. Mister Rapp, Mikrofon-Rapp (heute Deutschlandfunk, sonst taz, Zeit, jungle world), schneidet alles mit.
Und wirklich? Wie war es wirklich? Auf dem Literaturnachwuchswettbewerb Nummer eins in Deutschland, so nennen wir ihn jetzt mal: auf dem open mike in der Literaturwerkstatt in Pankow? Wahr ist: Er wird in jedem Jahr ein wenig professioneller, der open mike, dessen Name für jenes Mikrofon steht, das jedem Leser, jeder Leserin eine Viertelstunde lang offen steht. Es steht natürlich gar nicht jedem offen: 24 Teilnehmer werden nach aufwendigem Texttestprocedere von acht Literaturprofis aus in diesem Jahr 538 Einsendungen ausgewählt.
Und die JungautorInnen werden professioneller. Es ist nicht mehr die erste Stufe auf der nach oben offenen Karriereleiter im Literaturbetrieb. Es gibt so viele Off-Literaturbühnen, in Berlin und anderswo, so zahlreiche und inzwischen viel beachtete öffentliche Lesemöglichkeiten, wie das Kaffee Burger, die Reformbühne, Radio Hochsee und andere, wo der Literaturlebenslauf schön und schnell und lässig wie nebenbei beginnen kann, dass der open mike jetzt eine andere Rolle spielt als bei seiner so erfolgreichen Gründung vor acht Jahren. Er ist einfach ein paar Renommierstufen hinaufgeklettert auf der Mike-Bachmann-Büchner-Preis-Treppe.
Und die daraus folgende neue Professionalität der Lesenden beim open mike schützt nun zwar vor großen Stilblütensammlungen und peinlichen Abstürzen, aber leider nicht vor einer gewissen Langeweile. Die meisten Texte sind so rund inzwischen, so gut durchgearbeitet, so erfahrene, glatte Wettbewerbstexte, dass die Zuhörfreude doch ein wenig schrumpft. Und dass inzwischen auch hier, wie im Falle des rumänienstämmigen Schweizers Catalin Florescu, schon aus fertig lektorierten Büchern vorgelesen wird, die im nächsten Monat erscheinen, ist doch eine Neuigkeit.
So. Jetzt aber genug genörgelt. Die Professionalisierung ist ja nur die Schattenseite der großen Erfolgsgeschichte von open mike, das immer noch das spannendste und schönste Literaturereignis im Berliner Buchherbst ist. Und uns noch fast in jedem Jahr wenigstens einen neuen Namen, eine neue Stimme im Literaturbetrieb geliefert hat. In diesem Jahr haben Claudia Klischat vom Literaturinstitut in Leipzig, die ungarnstämmige Zsuzsa Ba’nk, die hauptberuflich Wirtschaftsredakteurin des Deutschen-Bank-Fernsehens ist, und Markus Orths mit einem sehr schönen Text über eine Zuggesprächskatastrophe gewonnen.
Und zum Schluss: Dass die Zukunft der wunderbaren Ort und Ideen spendenden Literaturwerkstatt, die spätestens Anfang 2002 aus ihrem Domizil im Majakowski-Ring ausziehen muss, immer noch unklar ist, ist ein Ärgernis, auf das gar nicht oft genug hingewiesen werden kann. VOLKER WEIDERMANN
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