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Den Mond neu verstehen lernen

Das Theater Kaleidoskop setzt Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ in Bewegung  ■ Von Christian T. Schön

Das Ziel ist, dass Sie in eine der Vorstellungen kommen. Dies haben die Organisatoren des dänischen Festivals danmark til hamborg erklärt; für sie heißt das, ein neues, ein junges Publikum für das zeitgenössisches Musiktheater zu gewinnen. Zu diesem Zweck haben sie drei Inszenierungen aus Dänemark eingeladen, deren Produktionen sich durch ausgesprochen klare und vermittelnde Herangehensweisen auszeichnen.

Arnold Schönbergs Pierrot Lunaire ist dabei nicht zufällig gewählt; das expressiv-atonale Werk steht am Anfang des modernen Musiktheaters und kurz vor Entwicklung der Zwölftonmusik. Die Kabarettsängerin Albertine Zehme hatte es bei Schönberg als einen „Zyklus von Melodramen“ in Auftrag gegeben. Schönberg (1874-1951) wählte 21 Gedichte aus einem Zyklus des französischen Dichters Albert Giraud in der deutschen Übersetzung von Otto Erich Hartleben aus und schrieb Pierrot Lunaire in wenigen Tagen von März bis Juni 1912.

Die strengen, aber poetischen Versformen der grotesken Gedichte bilden die Grundlage von Schönbergs spannungsgeladener und abwechslungsreicher Musik: Leichte, freie Kompositionen stehen neben schweren, komplexen.

Pierrot Lunaire erzählt keine fortlaufende Handlung oder Geschichte; jedes Gedicht beschreibt eine kleine Szene, ein bewegtes Bild, eine makabre Anekdote, eine Groteske der Nacht, des Mondes oder des mondsüchtigen Pierrot. Allein Schönbergs Musik und der Sprechgesang der Sängerin verbinden alles zu einer Einheit.

Das Kaleidoskop Theatre in Kopenhagen hatte sich das Stück bereits 1998 vorgenommen, zuerst in einer „low budget production“, und in diesem Jahr dann als große, überarbeitete Inszenierung. In seiner Partitur bezeichnet Schönberg den Sprechgesang (nicht Rap!) als eine „durch Noten angegebene Melodie, nicht zum Singen bestimmt“. Trotzdem bleiben die Silben, die fast durchgehend in Achteln und Sechzehnteln notiert sind, auch für ein geübtes und vorbereitetes Publikum oft schwer verständlich.

In ihrer Inszenierung haben sich die Regisseure Martin Tunilius und Mikkel Harder Munck-Hansen daher dafür entschieden, jedem der drei Teile das jeweils erste Gedicht („Mondestrunken“, „Nacht“ und „Heimweh“) als Einstimmung klar und verständlich voranzustellen.

Außerdem stellen sie der Sängerin Helene Gjerris (Mezzo-Sopran) einen weiteren Charakter zur Seite: Den Schauspieler Mikkel Harder Munck-Hansen, der einen modernen, aber stummen Pierrot abgibt. Wenn Pierrot sich für die Mondnacht schminkt („Der Dandy“), die roten, fürstlichen Rubine raubt („Raub“) oder aus einem Totenschädel türkischen Tabak raucht („Gemeinheit“), wird er also von seinem modernen Alter Ego begleitet und kommentiert werde; das Paar Mann/Frau wird erscheinen, und die Liebe vielleicht – was genau, das ist allerdings noch nicht klar.

Auf einer 16 Meter breiten und zehn Tonnen schweren, mit Wasser gefüllten Bühne setzt das Kaleidoskop Theatre seine Bilder mit eindrucksvollen Lichteinstellungen in Szene. Dazu werden die Spieler der Athelas Sinfonietta Copenhagen unter der Leitung von Thomas Sondergaard Schönbergs Musik in Bewegung setzen.

Nach der Uraufführung 1912 hielt Schönberg selbst Pierrot-Aufführungen „vor einem ungebildeten Publikum für sehr bedenklich“. Diese arrogante Pose kann sich das zeitgenössische Musiktheater nicht mehr leisten; wer ein neues Klassik-Publikum gewinnen will, darf die Vermittlung, der die Neue Musik bedarf, nicht scheuen und muss verständliche Inszenierungen schaffen. Auf dem dänischen Festival kann jeder selbst prüfen, wie gut oder schlecht die Chancen dafür stehen. Bleibt die Frage, die es zu klären gilt, bevor man ins Konzert geht und danach, wenn man rauskommt: Was halten Sie davon?

Premiere: heute, 20 Uhr, Kampnagel k6. Weitere Vorstellung: morgen, 20 Uhr.

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