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Himmelfahrtskommando

Geläutert aus der Diskothek: Mit ihrem zehnten Album liefert U 2, die meistgehasste Band der Welt, ihren Feinden wieder neue Munition. Und Bono gleicht immer mehr einer John-Lennon-Inkarnation

von DANIEL BAX

Zum zwanzigsten Todestag von John Lennon erinnert man sich auch in England wieder an dessen Mörder. „Um der Musik willen, lasst Mark Chapman raus, rüstet den Ficker aus und kauft ihm ein One-Way-Ticket nach Dublin. Und ziel niedrig, Mark, ziel niedrig“, schäumte der Plattenkritiker des New Musical Express in seiner Rezension der aktuellen U 2-Single „Beautiful Day“. Und versuchte damit, die Grenzen der Geschmacklosigkeit, die beim U 2-Bashing ohnehin nach oben offen sind, ein Stück weiter auszureizen.

Nun ist Londons Musikpresse sicher nicht für ihren subtilen Humor bekannt, und das Verhältnis der Briten zu ihren irischen Nachbarn, ganz allgemein gesprochen, ohnehin ein sehr spezielles. Aber es ist schon auffällig: In einer Welt, die sich an Britney Spears, Dieter Bohlen und die Spice Girls gewöhnt hat, provoziert wohl nur noch einer solch aufrichtige Totschlag-Fantasien: Paul Hewson, genannt Bono, ist die letzte große Hassfigur der sich anspruchsvoll dünkenden Musikpresse. Auch in Deutschland hat die U 2-Häme Tradition, und ein neues Album der Band ist immer wieder ein willkommener Anlass, die Messer zu schleifen, auch wenn sich der rechte Eifer dabei nicht mehr so ganz einstellen mag. „Der irische Rocksänger Bono, Chef der Erfolgsband U 2, redet nicht bloß gern mit wichtigen Politikern und dem Papst, jetzt singt er auch noch deren Redetexte“, witzelte der Spiegel etwas lahm über das neue U 2-Album, als hätte man erst jetzt gemerkt, dass es sich bei den vier Iren um gläubige Christen handelt.

Joschka Fischer des Pop

U 2 sind für die Popmusik, was Bayern München für den deutschen Fußball ist. Es ist nicht allein ihr Erfolg, der sie ungelitten macht. Es ist auch das, wofür sie stehen: für den messianischen Gestus ihres Frontmanns Bono, der sich, von Sun City bis Sarajevo, seit je für jedes Weltproblem zuständig fühlt und dessen Gesicht daher fast unentwegt in den vermischten Nachrichten auftaucht wie „Forrest Gump“ im Film: Bono mit David Trimble und John Hume, den Vertretern der Bürgerkriegsparteien, beim Friedensabkommen im Nordirland-Konflikt im Mai 1998. Bono beim Klinkenputzen für die Kampagne zum Schuldenerlass für die Dritte Welt. Beim Handshake mit Bill Clinton. Beim Papst, dem er seine Sonnenbrille schenkt. Beim G-7-Gipfel mit Gerhard Schröder. Bei Kofi Annan. Bono hier, Bono da.

Solch allgegenwärtiger Aktionismus lässt sich leicht als Ausdruck von Größenwahn deuten. Allerdings muss man der moralischen Dauermobilisierung einen gewissen Erfolg bescheinigen: Immerhin haben die USA, nicht zuletzt dank prominenter Fürsprache, einigen der ärmsten Länder kürzlich rund 435 Millionen Dollar an Schulden erlassen. Und Bono ist beileibe nicht der erste Musiker in der Geschichte der Rockmusik, der Weltrettungsfantasien hegt. Nicht zufällig kommt manchem John Lennon in den Sinn. Lebte der noch, vielleicht würde er sich heute in ähnlicher Jet-Set-Diplomatie ergehen. An Selbstunterschätzung, was die Wirkung seiner öffentlichen Sleep- und Sit-ins für den Frieden anging, litt bekanntlich auch er nicht. Und auch Bono wandelte sich erst mit der Zeit vom Pazifisten-Fundi zum Realpolitiker, der er heute ist, zum Joschka Fischer des Pop.

Sicher stand John Lennons hippieske Instant-Religiösität vielen näher, denen U 2 und ihr Christenrock mit irischem Antlitz suspekt ist. Aber die Vermutung ist nicht allzu abwegig, dass U 2 heute ein ähnliches Lichterketten-Publikum auf sich vereinen wie jenes, das am Abend des 8. Dezember 1980 vor John Lennons Haustüre Kerzen niederlegte. Dessen Ruhm dürfte es indes eher befördert haben, dass er so früh davongehen musste. Schließlich ahnte er schon, was sonst auf ihn zugekommen wäre: „they gonna crucify me“.

Das Gewissen von Rock

Heute sind U 2 vielleicht nicht „größer als Jesus“, das würde ihnen ohnehin blasphemisch erscheinen. Aber Bono hat John Lennon als gutes Gewissen des Rock beerbt. Und er ringt um einen ähnlichen Status als Hausheiliger für Bildungsbürger. Bono hat mit Frank Sinatra und Pavarotti gesungen, mit Bob Dylan und Johnny Cash. Er ist befreundet mit Wim Wenders, für dessen letzten Film „The Million Dollar Hotel“ er das Drehbuch schrieb, und mit Salman Rushdie, dessen Rockmusik-Roman „Der Boden unter seinen Füßen“ er inspiriert und Korrektur gelesen hat. Wäre er nicht der Sänger einer Stadionband, deren letzte Single „Beautiful Day“ im Sommer vom ZDF zum offiziellen Olympiasong erkoren wurde, und damit der derzeit oberste Repräsentant des Corporate Rock, er wäre längst reif fürs Zeit-Feuilleton statt bloß fürs Aktuelle Sportstudio.

Es ist aber nicht so, dass die Zeichen für diese Entwicklung nicht an der Wand gestanden hätten: „Ich habe das Gefühl, dass wir dazu ausersehen sind, eine der ganz großen Bands zu sein“, schwante Bono schon am Anfang ihrer Karriere. „Da ist so ein gewisser Funke, eine gewisse Chemie. Die Stones und die Who und die Beatles hatten das. Und ich glaube, U 2 haben es auch.“ Dem Reporter des amerikanischen Rolling Stone erschienen diese Worte des damals gerade mal 20-jährigen Sängers ziemlich anmaßend. Aber sie waren prophetisch.

Dass sich ihre Musik als mehrheitsfähig erwies, muss dennoch ein Schock für die Kreuzritter des Rock gewesen sein. Ausgezogen, das Böse da draußen zu bekämpfen, mussten sie erkennen, dass sie mit wehenden weißen Fahnen, ein Markenzeichen ihrer frühen Konzerte, offene Türen einrannten. Plötzlich waren sie die größte Band der Welt, obwohl diese sich um keinen Deut verbessert hatte. Seitdem arbeitet zumindest Bono unermüdlich daran, diesen Widerspruch für sich wenigstens abzumildern.

Die Songs der frühen U 2 waren Schlachtgesänge, mit denen man auch in einen Krieg hätte ziehen können, auch wenn sie eigentlich von Friedenssehnsucht kündeten. U 2 waren seltsame Heilige, die sich selbst noch zu Rufern in der Wüste stilisierten, als sie längst auf dem Gipfel ihrer Popularität standen. Diese heroische Phase dauerte bis zum Doppelalbum „Rattle and Hum“, mit dem sie sich in „Klassiker des Rock“-Pose warfen, als wollten sie sich gleich neben ihren Helden in Stein meißeln lassen, was ihnen fast zur Selbstparodie geriet. Pompös, sich an die Roots des Rock ’n’ Roll heranschmeißend und von einem selbstgerechten Film begleitet, hagelte es dafür selbst von sympathisierender Seite harsche Kritik.

Achtung, Elektronik!

Dieses Purgatorium ging nicht spurlos an U 2 vorbei: Seitdem trägt Bono hässliche, überdimensionierte Sonnenbrillen, und die Band trudelte in eine Identitätskrise, aus der sie eines Tages im Jahr 1991 überraschend in Berlin wieder auftauchte, rundum erneuert und kaum wiederzuerkennen: Man hatte Botschafts-Ballast abgeworfen und tanzen gelernt. „Achtung Baby“, das bisher beste, weil innovativste Album der Gruppe, leitete die ironische, postmoderne Phase der Neunzigerjahre ein. Schrammelige Elektronik-Effekte verzerrten den Klang, der recht die aufgekratzte, aber auch leicht bedrohliche Atmosphäre im Berlin kurz nach dem Mauerfall widerspiegelte, und auf dem Cover fanden sich verwaiste Trabbis und blaustichige Graffiti-Schnappschüsse. So viel Glamour war nie.

Ihre Bühnenshows steigerten sich mit Videoschirmen, die wirre Big-Brother-Botschaften in die Menge warfen, und einem Bono, der ins Mephistokostüm schlüpfte und sich Teufelshörner aufsetzte, zu absurden Spektakeln. Dahinter ragte zwar immer noch sichtbar der Zeigefinger der Medien- und Konsumkritik. Doch dass Bono während der Zoo-TV-Tour von der Bühne aus regelmäßig im Weißen Haus anrief und verlangte, mit dem US-Präsidenten zu sprechen, zeigte immerhin, dass er inzwischen zu einer Persiflage seiner selbst fähig war.

Zuletzt schien es allerdings, als hätten sich U 2 in der Elektronik verloren, im Kabelsalat verheddert, als wäre ihnen die Giga-Technologie ihrer Bühnenshows über den Kopf gewachsen. „U 2 – ist das nicht die Band, die während ihrer Show aus einer Zitrone steigt?“, fragte Woody Allen in Anspielung auf die überdimensionierte Pop-Mart-Show.

Nun sind U 2 erneut in sich gegangen. Ihr zehntes Studio-Album markiert einen Wendepunkt wie „Achtung Baby“, nur geht es diesmal eben wieder in die andere Richtung. U 2 sind beim Historizismus angelangt. Irony is over, der Flirt mit dem Dancefloor passé. In seinen Notizen über die Aufnahmen zu „Achtung Baby“ berichtete Brian Eno einst, die Schlagworte der Produktion seien „schundig“, „dunkel“, „sexy“ und „industriell“, und damit allesamt positiv besetzt gewesen.

Die Attribute „ehrlich“, „freundlich“, „aufrichtig“, „rockistisch“ und „linear“, die bis in die späten 80er den typischen U 2-Sound charakterisiert hatten, wären dagegen allesamt negativ konnotiert gewesen. Mit Blick auf diese Begriffsreihen haben U 2 das Rad jetzt wieder zurückgedreht: Auf dem Cover von „All that you can’t leave behind“ sieht man die Band von ihrem Hausfotografen Anton Corbijn so naturalistisch abgelichtet wie seit „The Joshua Tree“ nicht mehr. In der Schalterhalle des lichtdurchfluteten Charles-de-Gaulle-Flughafens in Paris stehen sie da, wie bestellt und nicht abgeholt. Aber wo könnte man sich der Begrenztheit seiner menschlichen Existenz eher bewusst werden als in der Wüste oder auf dem Rollfeld? Eben.

Feuer und Schwert

Vier Freunde müsst ihr sein! Die Band schreitet durch den Sprühnebel der Gitarren, die wieder ganz Hall und Weihrauch sind, vom bewährten Produzententeam um Brian Eno und Daniel Lanois angefächert, und Bono singt dazu mit Engelszungen, jubiliert und greint. U 2 feiern ihre Wiederauferstehung in Bombast und Tageslicht, mit gellenden Gospelchören und in ätherische Wolken gehüllt, das volle Programm: Stadionrock mit Feuer und Schwert. Ein bisschen Wehmut beschleicht den Club der 40-Jährigen schon als „last of the rock stars, when HipHop drove the big cars“, wie es in einem Song heißt.

Bono trägt wieder freudig die Dornenkrone. Schmerz und Erlösung: „You become a monster“, ächzt er in „Peace on earth“, das die unvermeidliche Weihnachtssingle des ausklingenden Jahres werden dürfte, „so the monster will not break you.“ Und das Stück „Walk on“ ist Aung San Suu Kyi gewidmet, der schon mit dem Friedensnobelpreis geehrten Symbolfigur der birmesischen Opposition. Seinen Feinden liefert Bono damit neue Munition. Aber er kann es einfach nicht lassen.

U 2: „All that you can’t leave behind“ (Island/Mercury)

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