: Erst keiner – nun alle: Rätselhaftes Ratzeburg
■ Inzwischen stapeln sich die Bewerbungen für das BürgermeisterIn-Amt in der Stadt
Erst wollte es niemand werden und jetzt stehen die Bewerber Schlange. Noch im Oktober suchte die Stadt Ratzeburg im Kreis Herzogtum Lauenburg verzweifelt nach Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters. Jetzt, rund vier Wochen später, kann sich die Verwaltung vor Nachfragen kaum retten. „Wir hatten rund 100 telefonische Anfragen und bislang etwa 50 schriftliche Bewerbungen“, sagt der Leiter des Hauptamtes, Gerhard Thuns.
Woran dieser plötzliche Sinneswandel liegt, weiß Thuns selbst nicht genau. „Wir haben die Stelle im zweiten Anlauf bundesweit ausgeschrieben, und außerdem wurde in den Medien von unserem Prob-lem berichtet“, sagt er. Während es nach der ersten Ausschreibung nur einen einzigen Bewerber gab, haben sich nach Angaben Thuns jetzt unter anderem Verwaltungsfachleute und Juristen aus dem ganzen Bundesgebiet beworben.
Doch nicht alle, die Interesse an dem Amt bekundeten, hatten offenbar eine Vorstellung von dem, was der Bürgermeister einer Kreisstadt zu tun hat. So habe ein Rentner sich erboten, die Verwaltung Ratzeburgs im Nebenjob für 630 Mark zu führen, berichtet der Amtsleiter. Er stellt klar: „Die 13 000-Einwohner-Stadt Ratzeburg hat selbstverständlich einen hauptamtlichen Bürgermeister.“ Der heißt zur Zeit noch Bernd Zukowski, ist parteilos und räumt zum 15. Juni 2001 seinen Sessel im Rathaus.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ratzeburg irgendwie abschreckend gewirkt hat“, sagt der Vorsitzende der CDU-Fraktion in der Stadtvertretung, Hans-Jürgen Berndorff. „Die Stadt ist schön, liegt in reizvoller Umgebung und ist durch das Rudern bundesweit bekannt.“ Auch die Möglichkeit, dass die angespannte Haushaltssituation der Kreisstadt Schuld am Bewerbermangel war, will er nicht gelten lassen. „Heute gibt es doch keine Stadt mehr ohne Finanzprobleme“, sagt er.
Die Stadt wird den Haushalt 2000 nach Angaben Thuns' voraussichtlich mit einer Lücke von 700.000 Mark abschließen, seit Monaten gilt eine Haushaltssperre. Andererseits stehen dringende Investitionen an wie der Neubau einer Schule, einer Feuerwache und einer Kläranlage. „Wie wir das finanzieren sollen, wissen wir nicht“, räumt Berndorff ein. Doch daran liege es nicht, dass sich niemand aus dem Kreis der Ratzeburger Stadtvertretung oder Verwaltung beworben hat, sagt er. „Die CDU hat von Anfang an gesagt, dass sie keinen Insider möchte, sondern einen Kandidaten von außerhalb bevorzugt“, so Berndorff.
Noch bis zum 5. Februar 2001 läuft die Bewerbungsfrist. Wer Volljurist oder Verwaltungsinspektor ist, Erfahrungen in einer Behörde nachweisen kann oder jahrelang in herausgehobener Position im kommunalpolitischen Bereich ehrenamtlich tätig war und nicht älter als 60 ist, der kann sich noch bewerben. Gewählt wird in Ratzeburg am 11. März.
Eva-Maria Mester
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