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Scheinschlag: Zehn Jahre Berlin-Blues

Stadtzeitung „Scheinschlag“ wird zehn. Autoren bedanken sich mit einer Jubiläumsausgabe

von UWE RADA

Wie fühlt es sich eigentlich an, dieses Berlin? Wie riecht es, wie schmeckt es, wo und zu welcher Zeit?

Berlin-Bilder zu generieren ist eine der Lieblingsbeschäftigungen Berliner Medien. Die Berliner Zeitung zum Beispiel war lange Zeit das publizistische Schlachtschiff des Senatsbaudirektors, im Tagesspiegel konnte man Altachtunsechziger beim Konvertitentum in Richtung Nouvelle Cuisine à la Borchardts beobachten, und in den „Berliner Seiten“ der FAZ paaren sich gediegene Bildungsbürgertumsschreibe und angriffslustiger Journalismus wider die Diktatur des sozialdemokratischen Geschmäcklertums aufs trefflichste. Während Berlin hier wahlweise nach Eintopf, Hausmannskost oder, im Fall der „Berliner Seiten“, bunten Salatvariationen schmeckt, kann der Scheinschlag von sich behaupten, einen ganz eigenen Ton, eine Art journalistischen Berlin-Blues geschaffen zu haben.

1990 als Kiezzeitung für den Bezirk Mitte gegründet, hat der Scheinschlag nunmehr zehn Jahre Berliner Chaos, Hoffnungen, geplatzte Träume begleitet, hat den Umbau der Spandauer Vorstadt oder das Eigentümergebaren in der Rosenthaler Vorstadt beschrieben, bot Platz für die Kolumnen von Hans Duschke und Bov Bjerg sowie die ganze Literatenszene rund um die Ackerstraße. Der Scheinschlag ist ein Alternativprojekt geblieben, dessen Gründung und Existenz noch immer dem Enthusiasmus einiger weniger zu verdanken ist. Und weil das so ist, hat sich die Scheinschlag-Redaktion zum zehnjährigen Jubiläum nun zurückgelehnt und ihre Lieblingsautoren gebeten, eine Geburtstagsausgabe zu schreiben. Herausgekommen ist eine Art Geschmacksessenz der großen, weiten Stadt.

Alexander Osang zum Beispiel hat einmal einen großartigen Text über ein Wohnhochhaus in Hellersdorf geschrieben. Hellersdorf war für ihn der Vorbote Amerikas in Berlin. Osang nahm das dann gleich persönlich, packte bei der Berliner Zeitung seine Sachen und ging als Spiegel-Reporter nach New York. In der Jubiläumsausgabe des Scheinschlags nun plaudert Osang aus, was er über Hellersdorf nicht geschrieben hat. Mehr sei hier nicht verraten, nur so viel: Diesem Mann blieb gar nicht anderes übrig, als schleunigst die Flucht zu ergreifen.

Während Osang Berlin, sein Berlin, verlassen hat, sind andere zurückgekommen. Falko Hennig zum Beispiel. Kurz nach der Wende hatte er eine Lehre als Fotosetzer im schwäbischen Biberach begonnen, mit einem orangefarbenen Käfer für 600 Mark kehrte der Mann, der die DDR via Ungarn verlassen hatte, im Mai 1990 wieder in seine Heimatstadt zurück. Es folgten: eine Straßenbahn, die in seinen Käfer fuhr, der Einbruch in seine besetzte Wohnung, ein Studium der Humanontogenese und der Wissenschaftsphilosophie.

Heute wissen wir: Dieses Berlin ist unwiederbringlich verloren. In unserem Gedächtnis ist aber noch ein Geschmack davon, der mit der Lektüre von Falko Hennig, aber auch von Helmut Höge oder Horst Evers wieder spürbar wird. Natürlich sind zehn Jahre Rückblick, Bilanzen – darunter auch persönliche – nicht frei von Larmoyanz. Der Text von Daniela Dahn etwa, die sich als Rächerin der enterbten Ostdeutschen aufspielt, grenzt in seiner Vermessenheit fast schon ans Unerträgliche.

Aber es gibt eben auch Sätze wie: „Plötzlich redet die Werbung so wie vorher nur die Subkultur. Plötzlich tauchten in den Zeitungen Begriffe auf, die wir alle längst erledigt glaubten. Plötzlich verschwand einer, den wir noch aus der Zeit der Straßenschlachten kannten, als habe ihn die Erde verschluckt, aber entgegen unserer Vermutung, er sei in den Untergrund abgetaucht, war er nur für zwei Monate in einen Computer versunken.“

Es war Klaus Schlesinger, der diese Sätze geschrieben hat, und zwar bereits lange vor der Wende in seinem grandiosen Ost-West-Tagebuch „Fliegender Wechsel“. Ursprünglich hatte auch Schlesinger einen Beitrag für den Scheinschlag zugesagt, war dann aber krank geworden und konnte nicht schreiben. Nun einen Nachdruck Schlesingers als Aufmachertext zu drucken, das bringt nur eine Zeitung fertig, die nicht nur Geschmack generiert, sondern auch Geschmack hat.

Anlässlich des Jubiläums finden am Montag und Dienstag jeweils um 19 Uhr zwei Podiumsdiskussionen statt: „Gibt es eine Bürgerbeteiligung nach der Bezirksfusion?“ und „Medien – Vordenker oder Nachbeter der Stadt?“Ort: Theaterhaus Mitte, Koppenplatz 12

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