Kölsch macht schwul

Wollen Sie was eher Gemeines oder eher was Literarisches? Ein Kurzstück virtuoser Unterforderung

von JOCHEN SCHMIDT

Meine erste Deutschlandtournee begann in Köln. Um kein allgemeines Aufsehen zu erregen, hatte der Buchhändler die Veranstaltung in ein Hinterhofatelier im hinteren Köln verlegt und nur seinen schlechtesten Bekannten Bescheid gesagt, von denen immerhin zehn kommen konnten.

Der zu diesem Atelier gehörende Maler hatte trotzdem gute Laune, denn es gab zwei Fässer Kölsch und heute war auf der Kunstmesse eines seiner Bilder verkauft worden. Er hatte sogar schon schnell wieder ein neues gemalt.

„Wollen Sie was eher Gemeines hören oder lieber was eher Literarisches?“, fragte ich zu Beginn meiner Lesung, „ich richte mich da ganz nach Ihnen.“

„Für mich was Schlüpfriges“, sagte der Maler.

„Also ich hätte hier Gemeinheiten im Angebot über Heidelberg, Stuttgart, München, Frankfurt am Main. Köln kommt dann beim nächsten Mal“, scherzte ich.

„Köln ist sauhässlich“, sagte der Maler.

Ich beschloss, ihn nicht weiter zu beachten, und fing an zu lesen: „Als Heiner Müller eines morgens aus unruhigem Schlaf erwachte, fand er sich in einen riesigen Jochen Schmidt verwandelt“, hub ich an.

„Könnten Sie mal die Lampe wegdrehen, die blendet uns hier“, sagte einer der Zuhörer.

„Die Kunst ist keine Kunst, wenn sie nicht versucht, Kunst zu sein“, setzte ich fort. Aber nach einer Seite bekam ich einen großen Drang aufzustoßen, den ich eine Stunde lang unterdrücken musste. Die Luft wanderte durch meinen Körper, schaute überall mal vorbei und kam dann wieder zurück in den Hals. Das musste dieses Kölsch sein, das ja angeblich auch schwul macht, wie man hier immer von den Transparenten der gegnerischen Fußballmannschaften erfährt.

Hinterher saßen wir bis spät in der Nacht am großen Tisch und unterhielten uns über Kunst: „Ich kenne da eine Künstlerin in Berlin“, sagte ich „die hat mich sehr beeinflusst.“

„Ist sie dick?“, fragte der Maler.

„Wieso?“

„Ich brauch immer so einen richtigen fetten Arsch, der sich auf mich niedersenkt. Aber du bist ja auch nicht so kräftig gebaut.“

Dann trat ein ernster junger Mann an mich heran: „Haben Sie meinen Brief bekommen?“

„Nein, welchen?“

„Die Anfrage, ob Sie bei einer Anthologie mitmachen wollen.“

„Zu welchem Thema war das?“

„Masturbation.“

Ich hielt durch und beschloss, im Hotel möglichst lange fernzusehen und möglichst spät aufzustehen, um am Morgen möglichst wenig von Köln mitzubekommen. Aber der nächste Tag hielt bessere Laune für mich bereit und ich freute mich darüber, in was für einer hässlichen Stadt die Kölner leben müssen. Aber vielleicht habe ich es auch nicht richtig gefunden, denn gleich hinter diesem Dom kamen nur noch Geschäfte. Außerdem knackte mein Knie bei jedem Schritt. Ich mach’s nicht mehr lange, dachte ich und bestellte mir zwei Stück Pizza bei Pizza Hut. Sie erklärten mir, dass es billiger wäre, wenn ich noch ein Getränk dazu nähme. Ich versuchte nicht, das zu verstehen, zahlte weniger und warf das Getränk weg. Lüneburg wird bestimmt noch schlimmer, dachte ich missmutig und vergrub meinen Kopf in meiner Mütze. Na ja, erst mal gemütlich die Zeitung lesen im Zug. Am Bahnhof kaufte ich mir die Süddeutsche und las: „Jochen Schmidt reitet seine Wortspiele zu Tode. Eitle Selbststilisierung, die ihr Gegenüber lediglich als Projektionsfläche für die eigenen Fantasien verwendet, seine Sätze laufen originalitätssüchtig ins Leere – Kurzstücke virtuoser Unterforderung.“ Bloß weg von diesen Katholiken, dachte ich mir und stieg in Lüneburg aus, wo es rote Backsteinziegel gibt, freundliche kleine Häuser, norddeutsches Temperament, der Duft der Freiheit, nach all diesem papsthörigen Mief.

Die Lüneburger Buchhandlung hatte dann zum Glück richtig die Werbetrommel gerührt, und es kamen zwanzig Leute. Allerdings sah es kurz vor acht noch schlecht aus, da war ich der Einzige im Geschäft.

„Hoffentlich kommt überhaupt wer“, sorgte sich die eine Buchhändlerin.

„Frau Puschel wollte doch auf jeden Fall kommen“, sagte die andere.

„Ja, genau, wo bleibt denn Frau Puschel?“

Ich brachte die zwanzig Leute zum Kochen, hinterher rissen sie mir meine Flyer aus der Hand, um sie ihrer Frau zu Weihnachten zu schenken. Wenn sie das neue Auto abbezahlt hätten, versprachen sie, würden sie sich vielleicht auch mal wieder ein neues Buch anschaffen.

Danach ging ich ein Bier trinken und am Nebentisch diskutierten zwei Mädchen und ein Junge über die Verbesserung der Welt. Ich war ja schon einen Schritt weiter und dachte über die Verschlechterung der Welt nach, aber jeder muss seinen Weg selbst finden.

Im Zug nach Berlin sang neben mir ein antiautoritäres Kind, während es malte: „Nananana nanana, nananana, nanana ...“ Es war ein sehr langes Lied und das Kind unterbrach die Meldodie nur, um seiner Mutter zuzubrüllen: „Hier, Mutti, jetzt hab ich schon zwei gemalt!! Nananananana nananana ... “ Nachdem es schon vier gemalt hatte, schaffte ich es endlich, doch einzuschlafen, aber dann weckte mich mein Sitznachbar: „Hallo, hier Wendt“, schrie er mir ins Ohr. Ich schreckte hoch. „Okay, dann ruf ich später nochmal an.“ Es war ein Waffenhändler, der telefonierend in Waffenhandelszeitschriften blätterte. Das Kind sang, der Waffenhändler telefonierte, der Schaffner hielt mich von hinten für eine Frau, und ich hatte meine erste Deutschlandtournee hinter mir. Ich suchte das Honorar zusammen und bestellte mir bei Herrn Wendt für die nächste Tournee eine Kalaschnikow.

Zu Hause nahm ich mir vor, nicht immer alles so schwarz zu sehen. Ich könnte ja zum Fotografen gehen, die Urlaubsdias abholen und mal gucken, was der Focus in diesem Artikel über die hundert besten Berliner Debütanten dieses Herbstes über mich geschrieben hat. Außerdem schien die Sonne und die Tauben gurrten friedlich in der Regenrinne.

Die Dias waren schwarz, ich hatte einen neuen Film abgegeben und den beknipsten in Bulgarien verloren. Im Focus stand nichts über mich, wahrscheinlich kam ich auf Platz 101, aber noch wahrscheinlicher hatte ich gar kein Buch geschrieben. Wieder auf der Straße blendete mich die Sonne, und ich war schlecht gelaunt und trat nach einer Taube. Die war allerdings zu altersschwach, um wegzufliegen, und ich hätte sie fast totgelatscht.

Vom Autor, Jahrgang 1970, erschien kürzlich die Erzählungssammlung „Triumphgemüse“