: Libysche Jugendliche machen Jagd auf Immigranten
Bei Pogromen gegen Schwarzafrikaner wurden bereits 130 Menschen getötet. Regierungen der Herkunftsländer halten sich bislang bedeckt
MADRID taz ■ Libyen vertreibt seine schwarzafrikanischen Einwanderer. Wer nicht abgeschoben wird, versucht auf eigene Rechnung wegzukommen. Der Grund: Seit Anfang September sehen sich die Immigranten aus den Ländern südlich der Sahara schweren rassistischen Angriffen ausgesetzt. Bei den Ausschreitungen sind nach Angaben der Internationalen Vereinigung der Menschenrechtsligen (FIDH) mindestens 130 Schwarzafrikaner ums Leben gekommen. „Die libyschen Behörden haben bis jetzt nichts unternommen, um die Gewalt zu stoppen“, heißt es weiter in dem Kommunikee.
Die letzten 117 Abgeschobenen stammen aus Kamerun. Seit Montag befinden sie sich in einem Hangar des Flughafens in der Hauptstadt des Tschad, N'Djamena. Wie viele andere haben auch sie bei den Übergriffen alles verloren. „Um weiter zu reisen, müssen wir unser Gepäck verkaufen“, zitiert die französische Presseagentur einen Betroffenen. „Wir waren über zwei Monate in einem Lager eingesperrt“, erklärt er weiter. So sollen die Immigranten vor weiteren Übergriffen geschützt werden. Nicht immer mit Erfolg, wie der Nigerianer Gabriel Edoh berichtet. Er wurde Anfang September von der libyschen Armee „zu seinem persönlichen Schutz“ ebenfalls in ein Camp gebracht. Wenig später wurde das Lager überfallen und in Brand gesteckt. Edoh wurde mit 2.400 Flüchtlingen in Kasernen untergebracht, Mitte Oktober dann mit mindestens 6.000 Landsleuten in seine Heimat abgeschoben.
„Wenn die Meute einen Schwarzen schnappt, ist der so gut wie tot“, beschreibt Edoh die Ausschreitungen, die Anfang September in der nordwest-libyschen Stadt Zaouia begannen. „Wir wollen keine Schwarzen“, schrien die Jugendlichen, als sie begannen, Jagd auf die Einwanderer zu machen. Die Unruhen griffen rasch auf andere Städte über. Selbst in den Vororten der Hauptstadt Tripolis ist es nach Angaben von Augenzeugen zur Hatz auf Ausländer gekommen. Die Menge wirft den Schwarzafrikanern vor, gegen die islamische Moral zu verstoßen.
Die in Nigeria und dem Tschad veröffentlichten Berichte von Überlebenden machen das Ausmaß der Pogrome deutlich. Ein Immigrant musste mit ansehen, wie seinem Freund die Augen ausgerissen wurden, bevor er zu Tode geprügelt wurde.
In Libyen kommen auf fünfeinhalb Millionen Einwohner zwei Millionen Immigranten. Die größte Gruppe mit 500.000 Personen kommt aus dem Tschad. Die Schwarzafrikaner arbeiten meist auf dem Bau, die arabischen Einwanderer in der Gastronomie und Landwirtschaft.
Libyens Staatschef Muammar el-Gaddafi hat in den letzten Jahren „die afrikanischen Brüder und Schwestern“ ins Land eingeladen. Die Visapflicht für Afrikaner wurde aufgehoben. Gaddafi hält die jungen Libyer immer wieder an, eine Schwarzafrikanerin zu heiraten. Doch die unterschiedichen Lebensweisen rufen Ablehnung gegenüber den Einwanderern hervor.
Keines der Herkunftsländer der Opfer hat bisher Konsequenzen aus den Vorfällen gezogen. Der nigerianische Minister für Afrikanische Zusammenarbeit, Dapo Surami, beschimpft die Pogromopfer als „Prostituierte und Verbrecher, die Probleme bekommen haben“. Man wolle erst „einen Abschlussbericht“ aus Tripolis abwarten, heißt es. In der nigerianischen Hauptstadt Lagos gingen tausende von Abgeschobenen deshalb gegen ihre eigene Regierung auf die Straße.
Die Erklärung für die zögerliche Haltung der Herkunftsländer der Opfer ist einfach. Jährlich fließen Milliarden aus Libyens Erdöleinnahmen in die südlichen Sahara-Anrainer. Gaddafi lässt sich als „der Stern Afrikas“ feiern. Eine Untersuchung der Vorfälle wird es wohl kaum geben. Die Ausschreitungen seien von den „Feinden Libyens“ initiiert worden, um die guten Beziehungen zu den Nachbarn zu beeinträchtigen, erklärte Außenminister Abdulrahman Shelgram. „Libyen ist kein rassistisches Land.“ REINER WANDLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen