: OP gelungen, Arzt todmüde
Überstunden, Dauerschichten: Landesamt für Arbeitsschutz überprüft nun Dienstpläne der Kliniken. Doch die notwendige Entlastung der Ärzte kostet 100 Millionen Mark
Müde Ärzte, überarbeitete Krankenschwestern. Die bittere Realität in den Krankenhäusern der Stadt – im schlimmsten Fall für Patienten lebensbedrohlich – treibt jetzt die Ärztekammer auf die Barrikaden. „Die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern sind inhuman und illegal“, klagte gestern Ärztekammerchef Günter Jonitz. 24- oder gar 32-Stunden-Dienste für Klinikärzte seien die Regel. Aufgrund der langen Schichten könnten sich Fehler einschleichen.
Das Landesamt für Arbeits-, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (Lagetsi) hat deshalb in über 15 Berliner Krankenhäusern die Dienstpläne überprüft. Ergebnisse lägen noch nicht vor, so Lagetsi-Sprecher Robert Rath gestern. Offenbar hat aber der Anfangsverdacht bestanden, dass gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wurde.
Stein des Anstoßes sind vor allem die Bereitschaftsdienste der Ärzte: 8 Stunden Nachtschicht, 16 Stunden Bereitschaft, danach wieder 8 Stunden Nachtschicht, das sei gang und gäbe. Jonitz: „In manchen Kliniken ist der Bereitschaftsdienst aber richtige Arbeit.“ Insbesondere in den Unikliniken kämen die Bereitschaftsärzte kaum zur Ruhe.
Diese Praxis verstößt auch gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Der hatte Anfang Oktober entschieden, dass auch die Bereitschaftsdienstzeit als reguläre Arbeitszeit zu werten ist. Der ÖTV-Landesvize Ernst-Otto Kock begrüßt das EuGH-Urteil: „Manchmal kommt der Fortschritt von der EU.“ Allerdings habe diese Rechtsprechung alle Beteiligten überrascht. Wichtig sei nun, dass das Urteil auch umgesetzt werde.
Das dürfte Kosten in Milliardenhöhe verursachen, bundesweit bis zu 3 Milliarden Mark. Allein in den Berliner Krankenhäusern müssten nach Jonitz’ Schätzungen etwa 1.000 Arztstellen neu geschaffen werden, sollte der Bereitschaftsdienst als reguläre Arbeitszeit gewertet werden. Kostenpunkt: rund 100 Millionen Mark jährlich.
Das Geld muss allerdings nicht vollständig zusätzlich aufgebracht werden, da die Bezahlung der Bereitschaftsschichten entfallen würde. Für viele Ärzte ist diese Extrabezahlung auch ein Grund, solchen Stressschichten zuzustimmen. Jonitz appelliert an die Einsicht der Klinikärzte in die Norwendigkeit, etwas weniger zu arbeiten: „Die Ärzte gewinnen ein Stück Lebensqualität, und wir können jungen Ärzten eine Chance geben.“ Zudem würde sich durch mehr Personal insgesamt die Behandlungsqualität in den Krankenhäusern verbessern. Patienten könnten so möglicherweise früher das Krankenhaus verlassen. „Auch das spart Geld.“
RICHARD ROTHER
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