: Toter und schräger Vogel
Ein Frührentner, der seinen an der Papageienkrankheit erkrankten Kongo-Graupapagei Bolle einschläfern ließ, wirft den Behörden Verharmlosung vor – und beschwört eine Seuchengefahr
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Am Anfang war ein Pickel. Ein Pickel im Augenbereich. Im Augenbereich des Papageien Bolle, um genau zu sein. Dann tauchten Gleichgewichtsstörungen auf, der Vogel verfehlte des öfteren die Stange und fiel auf den Schnabel. Die missglückten Balanceakte fand Henry Kolhoff, der den Kongo-Graupapagei im Sommer dieses Jahres gekauft hat, noch putzig. Doch als weitere Pickel auftauchten und sich diese entzündeten, begab sich der 42-jährige Frührentner mit dem Tier auf eine Ärzte-Odyssee in Berliner Kleintierpraxen und zur Uniklinik Leipzig.
Das Ergebnis: Kolhoff ist stinksauer, weil er überzeugt ist, dass der 2.498 Mark teure Vogel schon beim Kauf krank war. Dass sich das Tier auf den vielen Transporten infiziert haben könnte, schließt er aus. Und Bolle? Kolhoff ließ den Vogel am 10. November einschläfern. Der Grund: Das Berliner Institut für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen hatte eine Psittakose-Infektion – die Papageienkrankheit – diagnostiziert. „Er war eine wandelnde Chemiefabrik“, sagt der gelernte Elektroanlageninstallateur.
Viel Zeit zum Trauern über Bolles Ableben, der nach Kolhoffs Angaben das Wort „aua“ beherrschte, bleibt ihm nicht. Er ist damit beschäftigt, einem schlimmen Verdacht nachzugehen: einem Seuchenverdacht. Die Papageienkrankheit ist eine anzeigepflichtige Infektion mit Chlamydien-Bakterien, die keine eindeutige Symptomatik hat. Es können chronische Atemwegserkankungen auftreten, entzündete Bindehäute, Durchfall, Schnupfen, Niesen und Appetitlosigkeit. In seltenen Fällen können sich auch Menschen anstecken. Übertragungen von Mensch zu Mensch sind zwar möglich, treten jedoch noch seltener auf. Weil sehr selten nicht unmöglich ist, treibt Kolhoff die Angst um, dass andere Vögel in der Zooabteilung bei Karstadt am Hermannplatz, wo er seinen Papagei gekauft hatte, infiziert sein und ihre Besitzer angesteckt haben könnten. „Mir kommt sofort der Ebolavergleich“, sagt er.
Obwohl sich einen Tag nach dem Befund das Veterinäramt mit Kolhoff in Verbindung setzte, die zuständige Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen informierte und die nötigen Quarantänemaßnahmen und Untersuchungen in der Zooabteilung anordnete, spricht Kolhoff von einer „Verharmlosung der Gefahr“. Sein „Beweis“: „Ich und weitere Zeugen haben noch nach Bekanntwerden von Bolles Befund Graupapageien bei Karstadt gesehen, die schon angeboten wurden, als ich meinen gekauft habe.“ Als weiteres Indiz führt er die Information des Veterinäramtes an, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch nicht möglich sei. „Da stimmt doch was nicht“; so Kolhoff. „Ich will niemandem unterstellen, die Seuche mit Absicht zu verteilen, aber das Veterinärmt verniedlicht das bis zum Gehtnichtmehr.“ Dem Leiter, Jürgen Bach, drohte er per Anwalt straf- bzw. dienstrechtliche Schritte an.
„Es ist unanständig, so etwas zu behaupten“, setzt sich Bach zur Wehr. Die restlichen im Verkauf befindlichen Graupapageien und alle weiteren Vögel in der Zooabteilung seien zweimal auf die Papageienkrankheit untersucht worden – mit negativem Ergebnis. Zudem seien Quarantänemaßnahmen nach Vorschrift der Psittakoseverordnung durchgeführt worden. „Nach der Desinfektion habe ich einen neuen Bestand gestattet“, so Bach weiter. Der Vorwurf der Verharmlosung bringt ihn auf die Palme. „Mit der Papageienkrankheit ist nicht zu scherzen, ich bin selbst einmal daran erkrankt.“ Bach erinnert sich nicht nur an an das Ziehen im Nacken, das Fieber und die Gliederschmerzen, sondern auch an den letzten Fall der Papageienkrankheit in Berlin vor etwa einem Jahr. „Da haben wir nach einem bestätigten Verdacht 400 bis 500 Käufer angeschrieben.“ Kolhoffs Behauptung, nach Bekanntwerden von Bolles Befund noch die gleichen Graupapageien in der Zooabteilung gesehen zu haben, weist er entschieden zurück. „Die werden sich hüten, Muschebubu zu machen.“ Bleibt die Frage: Warum teilte er Kolhoff auf dessen Nachfrage mit, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch nicht möglich sei? „Ich wollte ihn nicht beunruhigen“, so Bach.
Die Fronten im Vogelstreit sind heillos verhärtet. Der Veterinär versichert die Einhaltung aller Vorschriften, und Kolhoff würde gerne ganzseitige Anzeigen schalten, um auf eine Seuchengefahr „mit möglichem tödlichen Ausgang“ hinzuweisen. Doch dafür fehlt ihm das Geld. Das braucht er für den Kauf eines neuen Kongo-Graupapageien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen