Erfolgreich gegen rechte Leitkultur

Erstmals stoppen Gegendemonstranten in Berlin einen rechtsextremen Aufmarsch. Die Berliner CDU, die sich plötzlich selbst in die rechte Ecke gedrängt sieht, tritt die Flucht nach vorne an. Anzeichen für eine neue politische Großwetterlage?

von UWE RADA

Am Ende ging alles ganz schnell. Polizeibeamte eskortierten NPD-Funktionäre und Skinheads zum S-Bahnhof Alexanderplatz. „Wir kommen wieder“, drohten die Neonazis, bevor sie nach Hause geschickt wurden. „Nazis raus“, skandierten dagegen die Gegendemonstranten, sichtlich zufrieden. Zuvor hatte die Polizei den rechten Aufmarsch, der ursprünglich vom Ostbahnhof bis zum Bahnhof Friedrichstraße gehen sollte, vorzeitig abgebrochen. Zur Begründung hieß es, die Sicherheit der Demonstranten habe nicht mehr gewährleistet werden können.

Irgendwie war alles anders, an diesem Samstag, dem 25. November. Am ehesten war dies vielleicht beim Landesparteitag der CDU zu spüren. Während in Friedrichshain und Mitte NPD-Anhänger und Gegendemonstranten auf die Straße gingen, holte die Hauptstadt-Union ihre Debatte um die deutsche Leitkultur nach. Die Großdemonstration am 9. November, vor allem aber die deutlichen Worte des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, haben sichtbare Spuren hinterlassen. Auf dem Parteitag sprach der Historiker Arnulf Baring von einer „Kampagne gegen den Rechtsextremismus, die man schamlos nennen kann“. Angela Merkel beeilte sich zu betonen, dass das rechte Spektrum nicht schlechter sei als das linke.

Offenbar geht in den Reihen der CDU ein neues Gespenst um. In vielen Medien ist der Widerstand gegen die Neonazis bereits zum „Kampf gegen rechts“ geworden. Mit Sorge bemerken viele Christdemokraten, dass sie plötzlich mit am Pranger stehen.

Eberhard Diepgen trat deshalb die Flucht nach vorne an. Sich selbst bezeichnete der Regierende Bürgermeister und CDU-Landesvorsitzende als „sozial engagierten und liberalen Konservativen“. Auf der anderen Seite aber feuerte Diepgen Breitseiten gegen Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD). Wer glaube, ständig zu Gegendemos aufrufen zu müssen, verwechsele Politik mit dem Spiel von Hase und Igel, meinte Diepgen. „Dies ist der Versuch, links hoffähig zu machen und die politische Mitte zu desavouieren.“

In einem hat Eberhard Diepgen Recht. Rauften sich Sozial- und Christdemokraten am 9. November noch mehr oder weniger freiwillig in einem Demonstrationsbündnis zusammen, standen am Samstag beide wieder auf verschiedenen Seiten der Barrikade: beim Parteitag der CDU jene, die bereits eine linke Leitkultur am Horizont sehen. Und auf dem Alexanderplatz jene, die, wie es Wolfgang Thierse auf einer Kundgebung am Roten Rathaus sagte, „den Braunen nicht unsere Stadt überlassen“. Mag die CDU mit ihrem Griff in die rechte Parolenkiste beim nächsten Bundestagswahlkampf auch Punkte gewinnen, derzeit jedenfalls ist sie mit eben jenem Kalkül unversehens in die Defensive geraten.

Eckart Werthebach weiß das. Anders als Eberhard Diepgen war es dem CDU-Innensenator deshalb wichtig, auch auf der Straße christdemokratische Akzente zu setzen. Zwar sah es noch kurz nach Beginn des NPD-Aufmarsches am Ostbahnhof so aus, als würde die fünfte Berliner Neonazidemo dieses Jahres so enden wie die vier zuvor: In Friedrichshain sammelten sich nur ein paar hundert Gegendemonstranten, und auch am Roten Rathaus, wo Wolfgang Thierse auf einer Kundgebung der Initiative „Europa ohne Rassismus“ sprechen sollte, war von einer Mobilisierung infolge des „Aufstandes der Anständigen“ wenig zu spüren. Die Polizei schließlich drängte in Friedrichshain die linken Gegendemonstranten ab und schuf Platz für die NPD-Demonstranten und ihre Parolen.

Je mehr sich aber Polizei, NPD-Anhänger und Gegendemonstranten dem Alexanderplatz näherten, desto mehr veränderte sich auch die Lage. Plötzlich standen den Neonazis nicht ein paar hundert, sondern ein paar tausend Demonstranten gegenüber, darunter viele, die nicht dem Antifa-Spektrum zuzuordnen waren. Die Situation drohte zu eskalieren, die Polizei erklärte den Aufzug für beendet. Andernorts und zu anderen Zeiten wären solche „polizeilichen Lagen“ von Werthebachs Beamten sicher anders gelöst worden. Offenbar wollte neben den Gegendemonstranten auch Innensenator Werthebach am Samstag sein Teil dazu beitragen, den NPD-Aufmarsch vorzeitig zu beenden.

Es war vieles anders an diesem 25. November und einiges deutet darauf hin, dass dieser Tag tatsächlich etwas wie eine Zäsur markiert. Erstmals wurde ein NPD-Aufmarsch gestoppt, nicht durch die Änderung des Demonstrationsrechts, sondern auf der Straße, von einem weitgehend friedlich agierenden Bündnis von Antifas, kopfschüttelnden Passanten und jenen „Aufrechten“, die nicht nur am 9. November anständig sein wollen.

Dieses Beispiel wird Schule machen. Zum einen, weil auch der Widerstand gegen rechts durch Erfolge wie diesen motiviert wird. Und zum anderen, weil die Polizei beim nächsten Mal in Erklärungsnot geraten wird, wollte sie einem rechtsextremen Aufmarsch bis zum Ende den Weg bereiten. Unübersichtliche „Lagen“ sind schließlich nicht nur eine Frage des Kräfteverhältnisses vor Ort, sondern auch, der Innensenator weiß das, eine Frage politischen Kalküls.

Solange das Demonstrationsrecht noch nicht nach dem Geschmack von Otto Schily und Eckart Werthebach eingeschränkt sein wird, bieten sich demnach gute Chancen dafür, nicht nur dem rechtsradikalen Mob, sondern auch den rechten Parolen in der CDU Einhalt zu gebieten: nicht nur durch Sonntagsreden, sondern durch schiere Präsenz auf der Straße. Wer hätte das noch vor ein paar Wochen ahnen mögen.

berichte SEITE 20 und 21