: Plötzlich wie angeknipst
Lustvoll dynamisch und tief gebeugt erledigt Leverkusens kleiner Stürmer Oliver Neuville den 1. FC Kaiserslautern beim 4:2 fast im Alleingang und erfreut seinen neuen Obertrainer Berti Vogts
aus LeverkusenKATRIN WEBER-KLÜVER
Oliver Neuville sieht immer so aus, als müsse man sich große Sorgen um ihn und seine Gemütsverfassung machen. Wie ein kleiner Ritter von der traurigen Gestalt unter all den wuchtigen, großgewachsenen und modellathletischen Fußballern, die sich als Nowotnys und Ballacks und Kirstens in seiner Leverkusener Mannschaft tummeln. Neuvilles Blick aus dunklen Augen wirkt immer melancholisch in eine andere Welt gerichtet, sein Gang ist oft schleppend, als läge auf seinen Schultern eine unmenschliche Last, diese Schultern hängen dann schwer nach vorne und der Kopf sitzt tief gebeugt dazwischen. Aber das hat bei Oliver Neuville vermutlich alles nicht viel zu sagen über das, was ihn gerade tatsächlich umtreibt. Denn seine verhangene Trägheit legt er auch dann nicht ab, wenn er ein gutes Spiel macht.
Am Sonntag lieferte er ein herausragendes Spiel. So außerordentlich, dass nach dem 4:2-Erfolg von Bayer Leverkusen über den 1. FC Kaiserslautern Trainer Berti Vogts vor allem die Leistung des kleinen Stürmers lobte. Und zwar als „fast Weltklasse“. Neuville, aufgeboten neben Ulf Kirsten als Stürmer auf dem rechten Flügel, hatte das erste Tor gemacht, das zweite durch Kirsten vorbereitet und nach einem Handelfmeter von Ballack auch noch den vierten Treffer erzielt. Nach diesem Tor, das nach zweimaligem Ausgleich der sehr mäßig aufspielenden Lauterer durch Hristov und Dominguez die Partie entschied, hatte Neuville sogar so etwas wie einen Anfall von Ekstase. Er riss die Arme hoch, zeigte den Anflug eines Lächelns und ließ sich von Michael Ballack in den Arm nehmen und hochheben. Sekunden später guckte er allerdings schon wieder, als mache der Hunger in der Welt ihm schwer zu schaffen, und sank schlaff herab, als stünde er kurz vor einem Schwächeanfall.
Die leidenschaftlich lustvolle Dynamik, mit der Neuville an guten Tagen wie diesen sein Offensivspiel absolviert, steht dieser schwindsüchtigen Anmutung immer diametral entgegen. Denn wenn er sieht, dass es nach vorne geht oder dass er selbst das Spiel nach vorne treiben kann, dann ist Oliver Neuville plötzlich wie angeknipst. Mit oder ohne Ball, mit dem Blick auf den Mitspieler oder sich allein auf den direkten Weg zum Tor machend, Vorlagen mit einer unnachahmlich sanften Schärfe punktgenau schlagend oder eine Abwehrformation mit einem kleinen Feuerwerk aus der Trickkiste auseinanderspielend, all das kann er wie nur wenige.
Nur reden tut er darüber ungern. Nach dem Spiel gegen Kaiserslautern sagte er: „Wenn die ganze Mannschaft gut spielt, kann ich auch gut spielen.“ Und dann erinnerte er sich an die letzte Saison, in der er wacker als Vorbereiter geschafft hatte, aber ein ums andere Mal und zunehmend tragisch anmutend daran gescheitert war, auch einmal selbst zu treffen. In jener ersten Saison in Leverkusen hatte Trainer Christoph Daum ihn trotzdem unermüdlich weiterspielen lassen und die Fans hatten ihn unermüdlich weiter angefeuert, so als sei allen klar, dass er sein Bestes gab und dass das Glück sich schon noch an seine Seite gesellen würde, wenn man Neuville nur weiter Vertrauen und Zuversicht schenkte. „Aber ich habe kein Tor gemacht“, sagt Neuville nun und ist froh, dass diese Zeit vorbei ist: „Jetzt spiele ich gut und mache auch Tore.“ Das sagt er nach seinen Saisontoren fünf und sechs für seine Verhältnisse schon redselig.
Denn eigentlich ist das öffentliche Reden nicht seine Sache, und eine große Leidenschaft für die deutsche Sprache hat er auch im vierten Jahr in der Bundesliga noch nicht entwickelt. Das macht aber vielleicht nichts. Sein effektivster Sturmpartner Ulf Kirsten ist auch kein Mann der großen Worte. Aber „wie die beiden sich verstehen, ist schon toll“, findet ihr Trainer, der über die Entwicklung seiner Elf gerade „sehr glücklich“ ist. Und voller Vorfreude auf das Gastspiel am Samstag in München. Vogts hat angekündigt: „Jetzt fahren wir mit breiter Brust zum FC Bayern.“ Wenn er nun noch Oliver Neuville bei Laune hält, könnte es ausnahmsweise vielleicht sogar mal ein erfolgreicher Ausflug zum liebsten Intimfeind werden.
Bayer Leverkusen: Matysek - Hoffmann, Nowotny, Zivkovic - Hejduk (82. Reeb), Ramelow, Ballack, Neuendorf (73. Vranjes), Ze Roberto - Neuville, Kirsten (62. Rink) 1. FC Kaiserslautern: Georg Koch - Ramzy - Strasser (80. Lokvinc), Harry Koch - Buck (17. Reich), Pettersson, Hristow, Grammozis, Dominguez (75. Marschall) - Djorkaeff, Klose Zuschauer: 22.500; Tore: 1:0 Neuville (30.), 1:1 Hristow (36.), 2:1 Kirsten (37.), 2:2 Domingeuz (66.), 3:2 Ballack (69./Foulelfmeter), 4:2 Neuville (86.)
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