die stimme der kritik: Betr.: Gesundheitsmagazin Zapping
Mit Freude und Ausdauer für das Nebensächliche
Man sollte häufiger einfach mal durch die Programme zappen. Irgendetwas Interessantes fällt einem immer auf. Diesmal war es das Rauchen. Bei einer Talkshow beispielsweise aus den Siebzigerjahren, debattiert wurde der Extremistenerlass: Und außer Marianne Koch, der Moderatorin, hatten alle Teilnehmer ständig Zigaretten zwischen den Fingern. Mit welcher Freude, welcher Ausdauer, welcher Nebensächlichkeit und welcher Unschuld damals geraucht wurde – unglaublich! Die Zigarettenschachteln lagen vor jedem auf dem Tisch, darauf oft ein Feuerzeug, und immer wieder schoben sich Wolken aus blauem Dunst vor die Kamera. Niemand beschwerte sich. Niemandem schien überhaupt irgendetwas aufzufallen. Wie die Zeiten sich doch ändern können! Während sich über den Extremistenerlass, nur als Beispiel, heute niemand mehr erregt, kann man sich einen Raucher mit wirklich reinem guten Gewissen jetzt kaum noch vorstellen.
Das gute Gewissen haben die Mobiltelefonierer. Das war die zweite Erkenntis des Zappingausflugs: Ständig, vor allem aber in Krimis, klingelt ein Schauspieler, sagt: „Moment mal“ zum Gegenüber und zieht sein Handy aus der Tasche. Und das ist ja auch wirklich keine Einfallslosigkeit der Drehbuchautoren, sondern reiner Realismus. Mit derselben Freude, Ausdauer, Nebensächlichkeit und Unschuld, mit der früher geraucht wurde, wird heute mobiltelefoniert. In Talkshows allerdings nicht, aber sonst überall. Ein Kollege erzählte kürzlich, dass er einen recht bekannten Schriftsteller via Handy erreichen wollte und tatsächlich auf dem Abort mitten beim Sie wissen schon erwischte; den Namen behalten wir aber mal lieber für uns (oder verraten ihn nur gegen Soli-Abo).
Nun ist es ja so, dass beim Mobiltelefonieren – die Strahlen! – gewisse gesundheitliche Nebenwirkungen nicht auszuschließen sind, so wie damals beim Zigarettenrauchen schon irgendetwas von Lungenkrebs bekannt gewesen sein dürfte . . . Ahnen Sie, worauf das hier hinausläuft? Genau! Vielleicht wird jemand in 25 Jahren durch die Programme des auf seine Netzhaut eingeschweißten Bildschirms zappen, und vielleicht wird er sich nur noch wundern können über all die kleinen Dinger, die sich heute alle Welt ständig gegen das Ohr hält. Dies hier soll übrigens gar nichts gegen das Rauchen oder gegen Handys sagen, aber fürs von mancher Seite ja inkriminierte Zappen Partei ergreifen soll es irgendwie schon. DIRK KNIPPHALS
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