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„Meine Hits waren alle Betriebsunfälle“

Ein Engländer in New York: Joe Jackson über Humorlosigkeit und Star-Charisma, über Innovation und Wiederholung in der Musik sowie sein Wandeln auf verschlungenen Pfaden zwischen Pop, Klassik und Jazz

INTERVIEW: MARCEL ANDERS

taz: Wann sind Sie das letzte Mal vorzeitig von der Bühne gegangen, weil Sie sich über Ihr Publikum geärgert haben?

Joe Jackson: Gott, keine Ahnung. Habe ich das je getan? Ich kann mich nicht daran erinnern. Kann sein, dass das ein- oder zweimal passiert ist, aber dann habe ich wirklich die Geduld verloren. Aber ganz ohne Vorwarnung war das sicher nicht – so tough bin ich nun auch wieder nicht.

Sie gelten als humorlos ...

Ich glaube, die Leute nehmen mich manchmal zu ernst und beschuldigen mich dann, dass das mein Fehler sei. Aber die Rezensionen und Kritiken verraten meistens mehr über den Journalisten als über mich: Denen fehlt schlichtweg der Sinn für Humor. Dabei gebe ich mir alle Mühe, mich bestmöglich darzustellen. Aber ich weiß nie, wie ich auf die Leute wirke – ob sie mich für einen Spinner oder einen netten Kerl halten.

Ein Musikkritiker hat einmal gesagt: „Joe Jackson könnte der größte Popstar auf Erden sein – doch er hat sich schlichtweg geweigert.“ Stimmt das?

Sehen Sie mich auf einer Stufe mit Madonna oder Michael Jackson? Nein. Ich denke, es ist eine Sache, ein Star zu sein, und eine andere, einen guten Job als Musiker und Komponist zu erledigen. Ein Star ist jemand, der eine unglaubliche Faszination auf eine breite Masse ausübt, auf eine fast mystische Weise. Das hat wenig mit Talent oder Intelligenz zu tun, dafür aber viel mit der Fähigkeit, die Fantasie der Menschen anzuregen, mit viel Charisma eben.

Haben Sie je versucht, ein Popstar zu sein?

Ich denke nicht, dass man so etwas trainieren kann. Entweder man hat diese Gabe, oder man hat sie nicht. Ich muss sagen, dass ich eine sehr spezielle Vorstellung davon habe, wer oder was ein Star ist. Das Level von Elvis Presley, James Dean oder Marilyn Monroe erreicht man nicht, indem man lediglich ein paar nette Songs trällert. Selbst wenn mich mein Ego eines Tages dazu treiben sollte, mich damit messen zu wollen – ich wüsste gar nicht, wie das geht, geschweige denn, wie man einen Hit schreibt. Das waren alles Betriebsunfälle.

„Night And Day II“ ist die Fortsetzung ihres gleichnamigen Albums von 1982. Damals haben Sie die Stadt New York aus den Augen des überwältigten Besuchers beschrieben. Heute entwerfen Sie ein anderes Bild ...

Der Unterschied ist, dass ich diesmal nicht über mich selbst schreibe, sondern über verschiedene Charaktere – die Geschäftsfrau, das Latino-Mädchen, einen Transsexuellen und eine Ausreißerin. Das sind alles reale Charaktere, Figuren des täglichen Lebens in New York – Leute, die ich immer wieder treffe und die so zu einem Teil von mir werden. Irgendwann verschwimmt das miteinander, Fiktion und Realität werden eins. Aber dadurch habe ich eine ganz andere Perspektive: Ich blicke unter die Oberfläche.

Hat sich New York in den letzten Jahren nicht stark verändert? Guilani hat den Ort doch völlig umgekrempelt.

Ja, und dafür hasse ich ihn. Er hat New York in ein Disneyland verwandelt, einen Ort der Schönen und Reichen. Andererseits hatten wir vor fünf Jahren ein riesiges Epidemien-Problem, und das war auch nicht ganz angenehm. Trotzdem wünsche ich mir demnächst wieder einen guten, korrupten Bürgermeister der alten Schule. Dann werden die Mieten auch wieder sinken.

Und dann trinken wir alkoholfreien Whiskey?

(lacht) Das wird nie passieren. Obwohl: Bei den Amerikanern bin ich mir da gar nicht so sicher. Ich meine, da bestellen die Leute wirklich ein Omelett aus reinem Eiweiß – das ist doch einfach unglaublich! Das ist so, als ob man ein Sandwich ohne Brot möchte. Deshalb werde ich auch nie die amerikanische Staatsbürgerschaft annehmen. Ich bin Brite, und dazu stehe ich.

Und wenn Ihnen New York zu viel wird, dann machen Sie Urlaub in England?

Ganz genau. Ich habe ein Haus in Portsmouth, in das ich jederzeit zurückkehren kann, wenn mir gerade danach ist – was nicht selten vorkommt. Aber auch das wird mir nach ein paar Tagen meist schon wieder zu ruhig. Das ist ein echtes Problem: Ich halte es einfach an keinem Ort länger aus und habe immer das Gefühl, irgendwie fehl am Platz zu sein. Man hat seine Heimat verlassen, weil man sie nicht ertragen kann, aber an jedem anderen Ort geht es einem genauso. Und dann fühlt man sich irgendwann wie ein Heimatloser, ein Ausgestoßener und Freak. Man kann sich keinem Land und keinem System unterordnen. Kann sein, dass man dadurch sehr individuell wird, aber auch sehr einsam.

In den letzten zehn Jahren haben Sie sich verstärkt der Klassik zugewandt und zuletzt eine Sinfonie geschrieben. Was zieht Sie nach so langer Abstinenz wieder zur Popmusik?

Ich habe keine Ahnung, ob meine Musik überhaupt in irgendeine dieser Schubladen passt. Ich mache nur, was mir gefällt und meinen Ansprüchen genügt. Was ist schon Pop? Das ist doch ein völlig sinnfreier Begriff, der alles und gar nichts umschreibt. Da gibt es so viele unterschiedliche Definitionen, dass man ihnen gar nicht entsprechen kann.

Wie wäre es mit Einfachheit und Eingängigkeit?

(lacht) Ist das eine Frage oder eine Feststellung? Natürlich bemühe ich mich immer, möglichst einfache Songs zu schreiben, die nur mit den gerade notwendigen Noten auskommen und sich um eine ideale Form bemühen. Das probiert wohl jeder Songwriter. Es geht immer darum, simpel und effektiv zu sein.

Im Vergleich zum Album „Night And Day“ ist eine Sinfonie für mich nichts anderes als eine Novelle, die man mit einer Sammlung von Kurzgeschichten desselben Autors vergleicht. Ich käme nie auf den Gedanken, sie unterschiedlichen Genres zuzuordnen. Wenn ich in meiner Karriere etwas erreichen wollte, dann das, dass ich mich auf nichts mehr festlegen muss. Damit sollen sich Kritiker und Plattenfirmen rumschlagen. Ich denke nicht über so etwas nach. Ich bin zufrieden, wenn sich in meiner Arbeit eine gewisse Entwicklung abzeichnet.

Ist „Night And Day II“, als Fortsetzung eines alten Albums, da nicht eher ein Schritt zurück?

So sehe ich das nicht. „Night And Day II“ ist viel moderner, vollkommen programmiert und dann mit Streichern und Percussions verfeinert und mit weiblichen Stimmen. Etwa der von Marianne Faithfull: Ich bin eigens nach Dublin geflogen, um mit ihr zu arbeiten.

Aber an allen Ecken schimmern doch musikalische Referenzen durch, das ist ja kaum zu überhören ...

Ich tue viele Dinge aus reiner Intuition – nicht, weil ich damit einen großen intellektuellen Plan verfolge. Diesmal hatte ich halt die vage Idee, dass es doch schön wäre, hier und da ein paar Zitate aus „Night And Day“ einzustreuen. Dazu bin ich inzwischen auch autorisiert: Ich habe mein Lehrgeld gezahlt und bin mehr als berechtigt, mich selbst zu zitieren.

Andererseits kann man auch nicht jedes Mal etwas hundertprozentig Neues abliefern, sondern muss sich schon auf die Vergangenheit stützen. Das hat selbst Beethoven so gemacht.

Sie meinen, Recycling ist nicht nur ein Pop-Phänomen?

Davon kann sich nicht einmal der größte Komponist ausnehmen. Die meisten recyceln sich sogar selbst – auf welche Weise auch immer. Ich habe stets versucht, das zu vermeiden. Aber ich bin auch nur ein Mensch.

Wie, glauben Sie, würde Beethoven heute klingen?

Auch Beethoven ging es bei seinen Sonaten darum, neue Ansätze zu präsentieren. Er war der Erste, der Trombonen im Orchester einsetzte. Jeder meinte damals: „Was tun Sie da? Das geht doch nicht: Trombonen gehören in die Militärmusik.“ Aber darum geht es auch mir: um das Ausloten von Grenzen.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Jazz?

Ich bin kein Jazzmusiker und habe auch kein Interesse daran, mich auf diesem Gebiet zu versuchen. Das ist fast so, als würde man mich fragen, warum ich kein Zen-Buddhist geworden bin.

Ein Jazzer zu sein, ist schon etwas ganz Besonderes – etwas, auf das man sich spezialisieren muss, fast wie ein Mönch, und das entspricht nicht meiner Mentalität.

Ich mag es, möglichst viele Dinge miteinander zu kombinieren, und daraus resultiert ja auch meine Eigenständigkeit. Ich fertige eher Collagen als Porträts an. Oder, um es anders zu formulieren: Ich bin eher jemand, der neue Cocktails erfindet, statt seinen eigenen Wein anzubauen.

Der Jazz ist Ihnen zu puristisch?

Ja, denn er folgt einer ganz bestimmten Tradition, und man muss ein wirklich guter Musiker sein, um in dieser Szene akzeptiert zu werden. Dazu bin ich aber, was den Jazz betrifft, einfach nicht gut genug. Klar kann ich die eine oder andere Nummer auf dem Klavier spielen, und ich habe auch schon reine Jazzkonzerte gegeben. Ich habe es sogar mal eine Zeit lang studiert. Aber wenn man mich neben Marcus Robertson stellt, den ich wirklich sehr bewundere, dann kann ich damit einfach nicht konkurrieren. Und um ehrlich zu sein: Ich will es auch gar nicht.

Deshalb bewege ich mich lieber im Pop: weil sich dahinter dieses große, völlig undefinierbare Etwas verbirgt, das alles oder nichts sein kann. Und das gilt ja auch für die Klassik – beides große, nichts sagende Begriffe. Darin liegen meine Wurzeln, in Beethoven und den Beatles.

Jazz-Anleihen tauchen in Ihren Songs trotzdem immer wieder auf ...

Ich liebe Duke Ellington, deswegen ist er auch ein Einfluss. Aber das ist nicht die einzige Quelle, auf die ich mich beziehe. Da gibt es viele Dinge, die nicht immer ganz so offensichtlich sind: Die Sex Pistols etwa sind eine meiner absoluten Lieblingsbands.

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