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Am Ende des Römischen Reichs

Kardinal Ratzinger sprach in der Bayerischen Vertretung in Mitte über die geistigen Grundlagen Europas – und geißelte dabei ganz nebenbei die Pläne für eine Homo-Ehe

Es hatte etwas von der Missionsreise eines römischen Konsuls zur letzten Bastion des Limes, an der Grenze zu den heidnischen Barbaren. Der Präfekt der Glaubenskongregation der römisch-katholischen Kirche besuchte die Bundeshauptstadt, die bei konservativen Katholiken als „gottloses Berlin“ verschrien ist. Joseph Kardinal Ratzinger sprach am Dienstagabend vor 1.200 Gästen über „Europa. Seine geistigen Grundlagen gestern, heute, morgen“. Und das, immerhin, auf beheimatetem Gebiet, in der Bayerischen Landesvertretung in Mitte – Ratzinger war früher Erzbischof von München-Freising.

Heute ist er der oberste Glaubenshüter der Kirche, der wohl wichtigste Mann in Rom nach dem Papst – und angesichts seiner konservativen Urteile mindestens so umstritten wie sein Chef. Eine Kostprobe: Ratzinger kritisierte scharf Bestrebungen zur rechtlichen Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Partnerschaften. „Mit dieser Tendenz tritt man aus der gesamten moralischen Geschichte der Menschheit heraus“, sagte er.

Kein Murren unter den Zuhörer, von denen viele seiner Rede in einem Nebenraum des Hauptsaals der Landesvertretung per Videoleinwand folgen mussten. Keine Regung auch, als der Kardinal noch eins drauflegte: Wenn die „homosexuelle Gemeinschaft“ immer mehr als gleichrangig mit der Ehe angesehen werde, „stehen wir vor einer Auflösung des Menschenbildes, deren Folgen nur äußerst gravierend sein können“.

Es war ein Heimspiel für den Oberhirten. Der derzeit europaweit diskutierte EU-Grundrechtecharta fehle „leider ein klares Wort“ zur Homo-Ehen-Problematik, beklagte Ratzinger. Beim Kernstück einer möglichen europäischen Verfassung vermisse er den Bezug auf die christlichen Werte des Abendlandes als gemeinsame Wurzeln Europas. Die Alte Welt müsse sich, wenn sie „überleben“ wolle, wieder auf diese Grundlagen beziehen, zu der auch die Ideen der Freiheit und Toleranz gehörten.

Ratzinger zeigte sich in seiner Rede pessimistisch, dass die Wertewelt Europas trotz des Siegeszugs der europäischen Technik und Kultur in aller Welt Bestand haben werde. „Europa scheint in dieser Stunde seines äußersten Erfolgs von innen leer geworden.“ Angesichts eines „inneren Absterbens der tragenden seelischen Kräfte“ und von Importen fremder Identitäten dränge sich der Vergleich zur Spätphase des „untergehenden Römischen Reiches“ auf. Zu einer geistigen Wiederbelebung des Kontinents könne es nur durch eine „schöpferische Minderheit“ von „gläubigen Christen“ kommen, die die „geistige Mitte“ Europas wieder in Erinnerung rufen müsse.

Waren die hier versammelten schicken Damen und Herren diese „schöpferische Minderheit“? Als ein Zuhörer den Kardinal auf seine Position in der Schwangerenkonfliktberatung anzusprechen wagte, ging missfälliges Raunen durch die Stuhlreihen: Wie konnte der nur? Ratzinger aber blieb cool, wich aus und beendete die Diskussion. Eine junge Dame sagte zu ihren Freundinnen noch: „Ich will ihn auch mal anfassen.“ Na ja, so sind sie, die Barbaren! PHILIPP GESSLER

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