„Unbeliebt wie Kraftwerk“

Trost schaffen auf der Meta-Ebene: Die Düsseldorfer Elektronikband Kreidler ist vom Retrofuturismus in Japan fasziniert, will aber trotzdem den Begriff „Heimat“ als popkulturelles Terrain zurückerobern

Interview MAX DAX

Nach drei veröffentlichten Alben steht die Düsseldorfer Elektronik-band Kreidler heute am Scheideweg. Künstlerisch hat sich das Quartett um die Gründungsmitglieder Andreas Reihse und Detlef Weinrich nach Jahren der introvertierten Klangsuche endgültig der Popmusik geöffnet. Das selbst betitelte neue Album ist zugänglich im Vergleich zu seinen Vorgängern und weist mit Momus einen prominenten Sänger als Gast auf. Ähnlich den Einstürzenden Neubauten, die zuerst internationale Anerkennung erfuhren, bevor sie auch im eigenen Land etwas galten, werden Kreidler in England in einem Atemzug mit deutschen Elektronikpionieren wie Kraftwerk oder NEU! genannt, der Durchbruch in Deutschland steht allerdings noch aus.

taz : Pop ist seit jeher das Spiel mit Zitaten. Inwiefern versuchen Kreidler eine Popband zu sein?

Andreas Reihse: Nun, wir hatten auf unserem ersten Album „Weekend“ – der Name ist Hommage an den gleichnamigen Godard-Film – viel gesampelt und zitiert. Auf unserem zweiten Album „Appearance And The Park“ hielten wir es für wichtig, all die Missverständnisse, die wir mit diesen Zitaten provoziert hatten, richtig zu stellen, haben auf Sampling komplett verzichtet. Heute bedienen wir gerne das Format des Popsongs, also das Zur-Sache-Kommen, das schnelle Glück, den unmittelbaren Einstieg. Auch das ist eine Form von Zitat. Unsere neue Platte ist einfach viel relaxter, weil wir in dieser Beziehung keine Fragen mehr beantworten zu müssen, also eine entspannte Haltung einnehmen konnten. Vielleicht haben wir mit unserer neuen Platte auch den Versuch unternommen, so einen Begriff wie „Heimat“ zurückzuerobern, ihn nicht einer deutsch-nationalen Zuordnung zu überlassen. Indem wir Blasmusik in unseren Sound integrierten.

Eine „Heimat“ gibt es ja bereits. Kreidler kommen wie Kraftwerk aus Düsseldorf.

Wir sind in Düsseldorf in manchen Kreisen ähnlich unbeliebt wie Kraftwerk damals, das schon. Aber mir ist es ansonsten immer ganz unangenehm, wenn wir mit denen verglichen werden oder gar von Journalistenseite gesagt wird: Das ist das Album, das Kraftwerk heute machen sollten. Das ist natürlich toll, aber irgendwie auch respektlos gegenüber einer Gruppe, die man eigentlich nur bewundern kann.

Aber man kann es mit der Bewunderung auch übertreiben.

Es gibt aber für denjenigen, der es sich in den Kopf gesetzt hat, in Deutschland Popmusik machen zu wollen, nur sehr wenige Role Models, auf die er sich beziehen kann – im Sinne eines eigenständigen deutschen Pop-Bewusstseins. Die Sachen aus den Achtzigerjahren sind ja größtenteils vergessen. Also bleiben Kraftwerk und NEU! Da ist so etwas Strenges, so etwas Diszipliniertes drin. Und dann wundert es uns natürlich, wenn wir aus Chicago zu hören bekommen: Das groovt ja! Ich dachte immer Funkadelic grooven.

Woher kommt die Japan-Faszination bei Kreidler? Detlef Weinrich hat in der Filmzeitschrift „Filter“ allein zwei japanische Filme als Einflüsse auf seine Arbeit genannt . . .

1996 bin ich mit LA!NEU? in Tokio und Osaka gewesen. Ich war beeindruckt davon, wie sich die Menschen in Tokio bewegen, wie sich eine Masse von Menschen bewegt. Sehr geschmeidig und fließend. Ganz anders als in Deutschland, wo sich die Menschen eher kämpferisch und kantig durch die Rushhour bewegen. Was ich in Tokyo aber vor allem gesehen habe, war etwas Altmodisch-Futuristisches, vielleicht, wie Kraftwerk auch altmodisch-futuristisch waren.

Vergleichbar in Europa mit den Franzosen und ihrem Glauben an die Abbildbarkeit der Zukunft? Ich sage nur: Eifelturm, Alphaville, Citrodën CX?

Japan hat etwas von einem System, das unweigerlich irgendwann implodieren wird . . . Was den Futurismus in Tokio angeht: Man bewegt sich unter den Neonlichtern dieser Stadt und fühlt sich wohl. Du bist umgeben von Farben und Menschen und fühlst dich einfach nur gut. Ein interessantes Gefühl, das ich jedem einmal zu erleben empfehle.

Das klingt wie ein Drogenerlebnis.

Das hat auch etwas davon. Detlef war viel länger in Tokyo als ich und hat auch die Schattenseiten viel genauer erlebt als ich. Ich habe nur diese Spielhallen gesehen, in denen pensionierte Zugfahrer ihre Tage verbringen.

Was tun die dort?

Man muss sich das wie Computerspiele vorstellen, bei denen nichts passiert. Diese Zugfahrer in Rente fahren virtuell die Hochgeschwindigkeitsstrecke ihres Expresszuges von Tokio nach Osaka ab, sehen das, was sie auch aus dem Fenster ihrer Lokomotive gesehen haben. Ziel des Spiels ist es, an den wenigen Bahnhöfen wie Kioto keine Zugverspätung zu haben, den Fahrplan einzuhalten. Nach dreieinhalb Stunden kommst du in Osaka an, und das Spiel ist beendet. Dann beginnt das nächste Spiel, und sie fahren wieder nach Tokio zurück. Das ist ein grotesker Anblick, diese aus ihrem Beruf entlassenen Menschen zu sehen, die ihren Beruf weiter ausüben.

Fremde Länder, fremde Sitten?

Es ist schon seltsam zu sehen, dass diese Menschen dann nachts, wenn die Spielhallen schließen, einfach in den Eingängen sitzen bleiben, um am nächsten Tag weiterspielen zu können. Ich weiß nicht, ob das Sozialstaat ist, wenn du weiter Zug fahren kannst, obwohl du schon entlassen worden bist? Ich habe mich auf alle Fälle noch nie so an „Blade Runner“ erinnert gefühlt wie in Tokyo. Ich habe keine Ahnung, was da passieren wird, ob da eines Tages eine Revolution ausbrechen wird.

Hinterlassen solche Eindrücke auch Spuren in der Musik einer Band?

Ja natürlich, aber eher auf einer Meta-Ebene, im Sinne von: Trost schaffen. Sehnsüchte wecken, aber nicht gänzlich bedienen. Im Sinne einer Melodie, die etwas Tröstliches haben kann, aber die zugleich nicht zu oft auftauchen darf, weil sie sonst jede Sehnsucht befriedigen würde. Ganz im Gegensatz zu einer Britney Spears halt, die eben auch schnell langweilig wird, weil sie kein Geheimnis, keine Auslassung, keine unbediente Sehnsucht mehr lässt.

Kreidler auf Tournee: 1.12. Bielefeld; 2.12. Hamburg; 3.12. Halle; 4.12. Frankfurt; 5.12. Köln; 6.12. Hildesheim; 7.12. Berlin; 8.12. Dresden