Theorie der kleinen Siege

Mit 0:1 verliert der 1. FC Kaiserslautern in der 3. Uefa-Cup-Runde bei den Glasgow Rangers, nimmt die fünfte Niederlage in Serie aber nicht besonders tragisch, sondern hofft auf das Rückspiel

aus Glasgow RONALD RENG

Auge um Auge, Zahn um Zahn? Es hieß Wange für Backe, als Georg Koch, Torwart des 1. FC Kaiserslautern, und Michael Mols, Stürmer des schottischen Meisters Glasgow Rangers, am Donnerstag im Ibrox-Stadion miteinander Bekanntschaft machten. Tief in der ersten Halbzeit des Uefa-Cup-Spiels hatten die zwei was zu bereden – was eigentlich, wusste hinterher keiner mehr. Mols jedenfalls schien es nicht zärtlich zu finden, dass ihm Koch die Pobacke tätschelte. Er bedankte sich für die Aufmerksamkeit mit einer astreinen Ohrfeige. Mit seinem riesigen rechten Torwarthandschuh hielt sich Koch noch einige Zeit die Wange. Aber wohl mehr aus Schreck als vor Schmerz.

Es war ein Gefühl, dass gut eine Stunde später die gesamte Mannschaft teilte: Geohrfeigt, aber doch nur erschrocken, nicht wirklich getroffen, machte sich Kaiserslauterns Mannschaft auf den Nachtflug in die Heimat. Das 0:1, durch einen wuchtigen Weitschuss von Glasgows deutschem Mittelfeldspieler Jörg Albertz zwei Minuten vor Spielende festgezurrt, war die fünfte Niederlage in Serie für den Siebten der Bundesliga – und die, die am wenigsten weh tat. Denn noch im Ibrox begannen sich die Pfälzer einzureden, im Rückspiel in sechs Tagen hätten sie gute Chancen, das Verlustgeschäft von Glasgow wettzumachen.

Wer zuvor viermal in Folge verlor, pickt sich aus der fünften Niederlage die kleinen Siege heraus. Team-Manager Andreas Brehme sah in Torwart Koch „absolute Weltklasse“ und fand Libero Murat Yakin „hervorragend“ – was will er erst sagen, wenn sein Team mal wieder gewinnt? Abrupt stoppte sich Brehme selber: „Wir dürfen jetzt natürlich nicht in Schönheit sterben, ich meine: Uns sagen, wie super wir sind, und weiter verlieren.“

Diese Gefahr ist nicht gering. Der Mannschaft fehlt das Besondere. Spieler wie die Mittelfeldrenner Marian Hristov oder Slobodan Komljenovic sind ordentliche Fußballer, die nicht negativ auffallen; aber viel mehr Positives lässt sich nicht über sie sagen. Eine einzige Torchance (vergeben vom wenig inspirierten Youri Djorkaeff), passable Abwehrarbeit und jede Menge Theatralik bot Kaiserslautern im Ibrox. Wobei selbst der Schiedsrichter die Schauspielerei irgendwann nicht mehr ertragen konnte. Er verwies Jörgen Pettersson mit Gelb-Roter Karte vom Platz, weil der Schwede ständig schreiend zu Boden ging, um Fouls vorzutäuschen. Der Kollege Albertz fand „es nicht mehr normal, sondern traurig, eine Frechheit, was der Pettersson hier abzog“.

Albertz hatte nach Abpfiff erst einmal gemütlich eine Zigarette geraucht, und als er aus der Umkleidekabine kam, blickte er in leere Stadionkatakomben. „Ist gar keiner mehr da?“, fragte der gebürtige Mönchengladbacher überrascht, entdeckte zu seiner Freude aber dann doch noch einen bekannten Journalisten. Nach so einem Tor wie seinem will man ja reden. Im fünften Jahr arbeitet Albertz in Glasgow; das Gefühl, dass ihn im deutschen Fußball zu viele vergessen haben, spornt ihn gegen Teams aus der Heimat immer besonders an. Wobei es „sicherlich nicht mein bestes Spiel war“, mit etlichen auffälligen Fehlern bei Flanke und Torschuss. „Aber er hat diese Qualität: Er macht ein Tor aus dem Nichts“, sagte sein Trainer Dick Advocaat.

Zuvor hatten die Rangers aus einem Dutzend bester Chancen nichts gemacht. „Wir haben keinen Vollstrecker-Fußballer gespielt“, dichtete Advocaat; dass Brehme so von Yakin schwärmen konnte, lag zum großen Teil auch an der Schreckhaftigkeit der Rangers vor dem Tor. Denn in der ersten halben Stunde wurden Yakin und seine Helfer ein ums andere Mal mit Bällen in ihren Rücken bloßgestellt, da stimmte auch das Stellungsspiel des Schweizer Liberos nicht. Danach machte er seine Sache besser und durfte grinsend sagen: „Heute habe ich wohl bewiesen, dass ich bundesligatauglich bin.“ Das hatte Brehme zuletzt bestritten. „Es war nicht so clever vom Trainer, mich zu kritisieren“, fand Yakin. Brehme schien dem zuzustimmen: „Heute muss ich Yakin loben, weil ich ihn kürzlich kritisiert habe.“

Loben findet Brehme gut. Demnächst will er auch noch „mit meinem Freund Rudi“ reden, damit dieser (Nachname Völler, Beruf Nationaltrainer) „mal Torwart Koch eine Chance in der Nationalelf gibt“. Koch selber, der im Ibrox einige Klasseparaden, aber auch Unsicherheiten bei Fernschüssen zeigte, zweifelt allerdings, ob die Idee erfolgversprechend ist, „die haben doch drei gute im Nationalteam“. Statt des Nationaltrikots bekam Koch erst einmal eines mit der Nummer elf: Jörg Albertz tauschte nach Spielschluss sein Dress mit dem Torwart und umarmte Koch, als wolle er ihn nicht mehr loslassen. Es war unschwer zu erkennen, was Albertz Koch mit dieser Liebkosung sagen wollte: Ätsch, habe ich dir doch noch ein Tor reingesetzt. Es war eine Umarmung, die schmerzhafter als eine Ohrfeige war.