: Rügen überwintert
Die Insel will das ganze Jahr über für Touristen attraktiv sein.Doch Kohlwochen und Kreideschlamm reichen nicht über den Winter
von PETRA SCHROTT
Salvenartig feuert Gesine Skrzepski ihre Tourismusstatistik ab. Die blonde, dynamische Präsidentin des Kreistages Rügen kann sechs Millionen Übernachtungen für die letzte Saison verbuchen. Doch wie sollen die Betten in der Nachsaison gefüllt, die 60.000 Arbeitskräfte beschäftigt werden? Kranichlauf, Kohlwochen und Kreideschlamm reichen nicht über den Winter. Der neue Slogan steht bereits: „Rügen ist eine ganzjährige Tourismusregion.“ Da braucht es Visionäre und Zauberworte, möglichst englisch. Begriffe wie Wellness, Beauty Farm, Facelifting und Nail-Bar adeln noch jedes Angebot und sind garantiert saisonunabhängig.
Auch im mondänen Seebad Binz mit den weiß strahlenden Hotels entlang der Promenade muss ein neues Haus Besonderheiten bieten, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Wolfgang Möser, Direktor der Binz Thermen, wollte nicht ruhen, bis er den Beweis für seine Idee fand. Irgendwo unter dem Kreidepanzer muss es warmes Wasser geben. Er ließ Bohrungen bis 1.200 Meter unter der Erde vornehmen, bis das ersehnte warme, solehaltige Wasser sprudelte, das ihn berechtigt, den Begriff Thermalbad zu benutzen.
Badehäuser haben in Rügen Tradition. Fürst Malte von Putbus hatte als besondere Attraktion ein Badehaus mit dorischen Säulen in Goor errichten lassen, in Marmorbädern mit kaltem und warmem Wasser sollten die adligen Gäste kuriert werden. Zum großen Ärger von Möser hat er die Anlage trotz Bankbürgschaft nicht erwerben können. Die Treuhand habe einen anderen Investor bevorzugt. Statt nun mit der Tradition zu werben, verfällt das Badehaus. Die ausbleibende Renovierung steigert den Zorn in der Tourismusbranche.
Saisonverlängerung durch Kunst erhofft sich Volker Barthmann mit dem Kunsthof Dargast. In einer ehemaligen Gutshofanlage wirbt er mit Incentive-Programmen. Das steht für Motivationsprogramme, die vor allem an Firmen gerichtet sind, die ihren Mitarbeiter neue Kraft durch Abenteuer geben wollen. 20 Schlafplätze im Heuhotel und 40 Übernachtungen in doppelstöckigen Militärbetten werden angeboten. Weil einigen die heruntergekommene Atmosphäre doch zu abenteuerlich sein könnte, bietet Barthmann auch die luxuriöse Variante an: Steigenberger statt Schlafsack im Stroh. Noch werden im Dargaster Kunsthof illegale Sprayer gezügelt, die mit ABM-Kräften das größte Kunstgraffito Mecklenburg-Vorpommern verwirklichen konnten. Außerdem im Angebot: Das Seminar „Dein Rhythmus, der immer mit muss“ richtet sich an diejenigen, die vorhaben, an ihrem Kapital zu arbeiten. Weniger sanft Veranlagte finden ihren härteren Sound möglicherweise bei der Holzbearbeitung mit Kettensägen.
Was Rügen vor allem fehlt, sind zahlungskräftige Tagungsgäste. Einige Tourismusstrategen glauben, dass Tagungsgäste nur mit dem Flugzeug zu locken seien. Der Plan für eine Landebahn, auf der Maschinen mit 30 bis 40 Personen landen können, steht schon. Die Naturschützer der Insel wehren sich bisher erfolgreich und sorgen weiter dafür, dass „grün“ auf Rügen wie ein Schimpfwort benutzt wird.
Hotelanlagen, die auf Spesenritter angewiesen waren, mussten bereits umrüsten. Die Anlage Aquamaris in Juliusruh beispielsweise versucht nun mit „Kids Areas“ eine Nische zu finden. Die Kinderbetreuung beginnt beim Einchecken der Eltern, wird in Schnullerklubs für Kleinkinder und in Piratenklubs für die größeren Kinder fortgesetzt. Familienfreundlichkeit scheint sich auszuzahlen. Im Hotel Hanseatic in Göhren wohnen Kinder bis 10 Jahre frei, alle 90 Zimmer sind ausgebucht.
„Ja wer da flieht dem Lärm der Welt, wer Ruhe für das Beste hält ...“, schrieb Gerhart Hauptmann über seinen Besuch in Lohme. Mit Ruhe lässt sich werben, das weiß Matthias Ogilvie, der Besitzer des Panorama Hotels, der Hauptmanns Zeilen gerne doziert. Er hat danach forschen lassen, dass Lohme 1855 als erstes Seebad vom Kaiserlichen Gesundheitsamt offiziell nominiert worden ist. Hoch über den weißen Steilklippen spricht der Hotelbesitzer, der in weißem Leinen eher wie ein Schöngeist wirkt, von weiteren Zukunftsplänen. Lohme könnte Ausgangspunkt fürs Trollingfischen werden. Die Jagd auf Lachs und Meerforellen auf hoher See ist ein kostspieliges Hobby und wird vor allem in Südschweden und Dänemark betrieben. Wenn die Tests vor Lohme in diesem Winter erfolgreich sind, dann hofft man, die Trendsportler nach Rügen zu ziehen. Die Saison hat im November begonnen.
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