Unverfrorene Gemeinheit

betr.: „Börsengang der Bundeswehr“ von Konrad Lischka, taz vom 28. 11. 00

Was der Autor als zweite Ebene der Diskussion ohne weitere Begründung als falsch verstandenen Liberalismus abtut, ist einer unter vielen und der wichtigste Grund gegen die Wehrpflicht und gegen jede Art von Zwangs- oder wie er so liebevoll schreibt: Gemeinschaftsdiensten.

Wieso vernachlässigen gerade die Linken, ohne mit der Wimper zu zucken, die persönliche Freiheit, sobald das Wort sozial fällt? [...] Für alle Leistungen, die der Staat erbringt, bezahlen wir (durch die Steuern) – für die sozialen Leistungen erscheint es vielen nicht gut genug zu bezahlen, sondern man muss Fronarbeit leisten. Es ist eine unverfrorene Gemeinheit, unter dem Deckmantel des Sozialen, des Guten, der Nächstenliebe, des guten Staatsbürgertums, der Gemeinschaft usw. die Leute auszubeuten.

[...] Die Krankenschwestern/Pfleger, die ich während meines Zivildienstes (der dem Autor ja leider vorenthalten blieb) kennen gelernt habe, hatten zu viel Arbeit, wurden zu schlecht bezahlt und ließen sich zudem geradezu entwürdigend schlecht behandeln. Aber das störte sie gar nicht, denn schließlich arbeiteten sie für das Gute, etwas Soziales etc. – eine Vorstellung, die aus der Zeit, da diese Arbeiten von christlichen Ordensleuten erledigt wurden, zu kommen scheint. Für mich als vorbildlichen Staatsbürger und fröhlichen Verfassungspatrioten hätte es Sinnvolleres gegeben, als ein Jahr Rollstühle zu schieben und Kaffee zu kochen: Ich hätte ein Jahr eher zu studieren begonnen, würde ein Jahr eher zu arbeiten beginnen und somit ein Jahr eher Steuern bezahlen, mit denen man – ganz ohne schlechtes Gewissen – neben den Finanzbeamten, den Baufirmen und den Lehrern auch noch die Krankenschwestern einfach bloß bezahlen könnte. Dies wäre nicht nur, wovon der Autor auszugehen scheint, von finanziellem Nutzen, sondern vor allem ein Gewinn an persönlicher Freiheit und an Menschenwürde. MARTIN WALK, Berlin