: Let`s get together
Der Jazzer als Studienobjekt: Courtney Pine entpuppt sich im Tränenpalast als schwarzer Jesus mit Saxofon
Gesundheitsministerin Andrea Fischer, selbst gelegentlich als Jazzsaxofonistin unterwegs, war auch da. War also ganz nahe dran an dem, den sie so gut findet: an Courtney Pine, Englands Vorzeigejazzer und Hipsterikone, der Anfang des Jahres im Zuge der exessiven Londoner Millenniumsfeierlichkeiten auf Vorschlag Tony Blairs von der Queen den O.B.E. bekam – den „Order of the British Empire“.
Damit war Pine der erste schwarze Jazzmusiker, der im Buckingham Palace offiziell ausgezeichnet wurde. Der Abend im Tränenpalast beginnt indessen so, wie es zu DDR-Zeiten an diesem Ort üblich war: mit Warten. Die Band ist noch beim Soundcheck, und die Türen öffnen sich erst eine knappe Stunde nach der offiziellen Einlasszeit. Um halb zehn kommt Courtney Pine auf die Bühne. Er kommt im HipHop-Outfit – gürtellose Jeans in Übergröße mit passender Jacke in Blaumetallic und seltsam geformte Wildledersneakers: Stagewear mit Streetcredibility. Seine Band ist in der klassischen Besetzung: Bass, Gitarre, Schlagzeug, Keyboards, Percussion, Saxofon, Posaune. Für diejenigen, die Pine mit Synthiesounds und Scratch-DJ kennen, war das eine ungewöhnlich bodenständige Wiederbegegnung.
Der 36-jährige Familienvater, Sohn jamaikanischer Einwanderer, den sich Anfang der 80er Mick Jagger und Neil Tennant auf ihre Platten holten, begrüßt das Publikum mit dem Ausspruch, er habe nicht erwartet, dass überhaupt jemand kommt. Tatsächlich lag sein gerade erschienenes Album „Back In The Day“ (Blue Thumb) im Zuge der Verve-Übernahme durch Universal und der damit verbundenen Koppelung von Verträgen an Verkaufszahlen zwei Jahre auf Eis. Ein Umstand, der seine Karriere fast zum Erliegen gebracht hat.
Courtney Pine, der sich in Radio- und Fernsehsendungen für Jazz und globale Musikkulturen engagiert, ist bekannt für seine rasend schnellen Saxofonläufe und seine technische Präzision. Dass das aktuelle Album hauptsächlich am Computer entstand, macht die Umsetzung auf der Bühne nicht unbedingt leichter. Vor allem eins sollte die Musik sein: clubtauglich und glaubwürdig. Coutney Pine bläst, überbläst, spielt zirkular. Mal nur mit den Händen, Klappengeräusche erzeugend, dann ganz ohne Hände, die Arme seitwärts ausgestreckt, das Instrument nur mit den Lippend haltend. Ein schwarzer Jesus mit Saxofon.
Er müht sich ab, fährt innerhalb eines Stückes durch die diversen Spielarten des Pop und setzt dabei HipHop, Hardrock und Ska so hart gegeneinander, dass es wehtut. Am Schluss war niemand dem schwarzen Boden des Tränenpalastes so nahe wie an diesem Abend, als alle vor dem Hohepriester auf den Knien liegen. „Lasst uns zusammenkommen! Wer weiß, ob ich jemals wieder in Berlin sein werde!“, wirft er seinen Getreuen kurz vor dem endgültigen Abschied zu. Wenn, dann sollte man ihm nach diesem Auftritt auf jeden Fall erst mal eine kreative Neubesinnung wünschen.
MAXI SICKERT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen