: „Jai Guru De Va Om“
Die Tanznacht soll zum Forum des zeitgenössischen Tanzes in Berlin werden. Doch die Sponsoren halten sich zurück – denn, so Mitveranstalterin Claudia Feest: „Tanz ist kein marktfähiges Produkt“
von KATRIN BETTINA MÜLLER
taz: Bei der Tanznacht stellen sich 18 Choreografen vor. Wie bekommt man die unter einen Hut?
Claudia Feest: Das war unglaublich arbeitsaufwändig. Viele Künstler touren international wie Xavier Le Roy, Ami Garmon, Howard Katz Fireheart, Marguerite Donlon und Jo Fabian. Da kann es bis zum Schluss Überraschungen geben. Dieter Baumann und Jutta Hell von Rubato, seit Wochen auf Tour in Hongkong und Singapur, bringen ein Stück mit – „Zimmernummer“ –, das sie unterwegs entwickelt haben. Sasha Waltz tritt mit zwei amerikanischen Tänzern auf, die gerade Gast der Schaubühne sind. Alex B. zeigt einen Ausschnitt aus einem brandneuen Frauenstück, das gestern im Tacheles Premiere hatte. Marguerite Donlon springt als Tänzerin ein, weil ihre ursprüngliche Besetzung schon wieder anderweitig verpflichtet ist. 63 Künstler sind an der langen Nacht beteiligt: Es gibt Tanzinstallationen im Glasgang, eine Performance von Constanza Macras im Clubraum, Xavier Le Roy stellt sein Projekt im Foyer vor. Und wer das durchhält, von 18 bis 24 Uhr, kann am Ende mit uns eine Party feiern.
Die Tanznacht versucht an einem einzigen Abend ein Forum zu bieten, wie es eigentlich ein Tanzhaus leisten müsste. In Nordrhein-Westfalen wurde dieses Jahr ein Choreografisches Zentrum eröffnet, das die regionale Szene vertritt. Warum fehlt ein solches Forum hier?
Das ist ein großer Mangel. Kurz nach der Wende hat ein runder Tisch Konzepte für ein Tanzhaus entwickelt, aber es gab nie eine politische Entscheidung. Deshalb erschien es uns umso wichtiger, einmal die Vielfalt der Szene aufzublättern und internationale Veranstalter einzuladen.
Der kleine Katalog stellt 37 Choreografen vor, informativ, aber auch sehr knapp. Konnte man da nicht gleich ein Buch daraus machen mit größeren Porträts?
Das Geld fehlt. Man merkt, das Papier ist schon dünn. Der Senat hat gleich abgewunken. Dabei ist die Nachfrage groß. Rubato hatte den Katalog in Singapur mit, da haben Veranstalter gleich dreißig Exemplare bestellt.
Die Tanzfabrik und das Theater am Halleschen Ufer haben Rückschläge einstecken müssen. Die Tanzfabrik, die vor zehn Jahren viel mit eigenen Produktionen auffiel, fördert heute den Nachwuchs, und das THU verliert gerade einen seiner Leiter. Die Akademie der Künste hat in den Neunzigerjahren ihre eigenen Tanzprogramme eingestellt. Da fragt man sich schon: Was bleibt?
So pessimistisch sehe ich das nicht. Im Gegenteil. In den letzten vier, fünf Jahren sind neue Choreografen nach Berlin gekommen, wie Labor G. Ras, die zuvor in der Schweiz und in Hamburg produziert haben. Allerdings darf jetzt nicht durch Mangelfinanzierung ein weiterer Baustein der Infrastruktur wegbrechen.
Wenn man im Katalog die Statements der Choreografen über ihre Arbeit liest, fällt oft der elementare Ansatz auf, das Suchen nach einer neue Bewegungssprache. Was dagegen keine Rolle spielt, sind Bearbeitungen von erfolgreichen Stücken. Warum muss der Tanz immer wieder neu erfunden werden?
Ich habe das auch festgestellt. Deshalb hat die Tanzfabrik die Reihe „Tanz und Text“ ins Leben gerufen, die sich mit Tanzgeschichte und Rekonstruktion von Choreografien beschäftigt. Mein Eindruck ist, dass vor allem junge Choreografen kaum wissen, was es schon alles gab. Deshalb ist der Anspruch immer wieder da, aus sich heraus zu arbeiten. Dabei gilt gerade im Tanz die Frage: Kann man eigentlich etwas bloß reproduzieren oder ist nicht jede Interpretation auch ein Original? Das kann auch den eigenen Ansatz schärfen.
Viele Stücke der letzten zehn, zwanzig Jahre hätten ein Bleiben verdient. Wieso gibt es kein Repertoire im zeitgenössischen Tanz?
Dafür braucht man Theater, an denen konzentriert und in einem geschützten Rahmen gearbeitet werden kann, wie bei Pina Bausch in Wuppertal. Das war in Berlin bisher nicht möglich. Hier wird man schnell hochgeboomt und wenn man nicht ständig etwas Neues bringt, abgelehnt. So wird kreative Kraft ganz schnell verbrannt.
Druck macht ja auch eine Erwartungshaltung an den Tanz, all das zu reflektieren, was sich in der gesellschaftlichen Realität der Körper ändert. Das ist durch die technische, medizinische Entwicklung zurzeit und durch die mediale Repräsentation sehr viel. Der Katalog belegt, wie sehr das Choreografen beschäftigt. Dabei ist die Diskrepanz zwischen der Relevanz des Themas und der bescheidenen Ausrüstung dieser Kunst groß. Ist das nicht oft auch eine enorme Überforderung?
Ich wünsche mir oft, dass die Angebote, sich mit dem Bereich neuer Technologien zu beschäftigen, größer wären. Wir hatten Emma Louis Thomas zu Besuch, die in Los Angeles 28 Jahre lang eine Professur für Tanz hatte und uns verwundert fragte: Gibt es hier keine Zusammenarbeit mit Sony oder Unterstützung aus der Wirtschaft? Die gibt es nicht. Tanz kann nicht wie Bilder und Skulpturen gekauft werden und in einem Firmengebäude zum Image beitragen. Er kann auch nicht wie Musik als marktfähiges Produkt konserviert werden. Er muss live erlebt werden – und das macht auch seine Magie aus.
„Tanznacht Berlin“, morgen ab 18 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10
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