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Eine große Tanzpremiere ...

■ ... so würden die 11-jährigen Besucher des MOKS-Theaters eine Rezension des Stücks „Der alte Flügelmann“ beginnen

Nachdem das ChineloTheater Gabriel Garcia Marquez' neunseitige Erzählung „Ein sehr alter Herr mit riesengroßen Flügeln“ einesteils aktualisiert und politisiert, andernteils mythisch aufgeladen hat, zeigt nun das MOKS eine bodenständig-bäuerliche Variante des Textes. Indem man die Regie in die Hände eines Tanztheatermannes (Wilfried van Poppel) legte, entschieden sich die MOKSisten – ebenso wie die Chinelitiker – gegen Dialoglastigkeit. Beide Inszenierungen setzen auf Körper, Geste, Mimik, Musik (beim MOKS sind es osteuropäische Klänge, um die Sache aus dem fremden Lateinamerika ein wenig näher – aber auch nicht allzu nah – zu rücken). Ein klitzekleiner Zusatz zum Titel der MOKS-Fassung aber macht die beiden Produktionen unvergleichbar. Er lautet „ab acht Jahre“.

In frühen Tagen des Jugendtheaters wendeten sich die Erwachenen immer mit Grauen ab, wenn es jugendgerecht-albern wurde: platt-polterndes Auftreten, zickige Stimmen. Wie ausgefeilt ist dagegen der Humor der erstklassigen MOKS-Akteure. Eine subtile Choreografie, bei denen ein mächtiger Koffer und ein minderwertigkeitskomplexhaft-kleiner Koffer sowie zwei Hände nebst störender dritter Hand die Akteure sind, bereitet auf die Machtspielchen der zwei dazugehörenden Menschen vor – und es ist saukomisch. Und dann diese Zirkusszene. Maureen Havlena alias Jojola Ferrari steht mit ihrem albernen Hütchen und offen-dämlichen Geschau da und nestelt an ihrem Jojo herum. Doch dieses kratzbürstige Jojo macht einfach keine Anstalten zu federn und zu hüpfen. Diese Szene ist grandios, aber erzählen sollte man das eigentlich niemandem, sonst müsste man sich schämen, denn zu erklären ist der Charme solch leisen Klamauks sowieso nicht.

Aber da wäre noch der Ernst. Er plumpst herein in Form des Engels. Dieser sagt nichts und tut nichts; das macht ihn verdächtig. Und so wird dieser stinkige, zottelige „Penner“ als „Flügelmann“ für viel Geld ausgestellt – obwohl er eigentlich gar keine Flügel besitzt. Doch bald wird sein Ruhm überstrahlt von dem einer Spinnenfrau – göttlich in dieser Rolle die Tänzerin Anne Minetti. Während diese kriechende Kreatur die Massen belustigt, ist der Flügelmann endlich allein, findet Geschmack am Flattern – und entfleucht. Oft agieren die DarstellerInnen auf der Grenze von Tanz und Schauspiel und der Ernst der Außenseiterthematiker wird vielleicht zu sehr durch Humor ausbalanciert.

Nach der Aufführung ermuntert Hermann Book die Kids mit einer Engels-Geduld, Fragen zu stellen: „Das Geld, das du gezählt hast, war das echtes Geld?“ „Tut es denn nicht weh, barfuß über Stroh zu gehen“ „Sind die vielen Röcke, die du anhast, schwer zu tragen?“ „Was bedeuten die vielen Regenschirme am Boden?“

Na ja, was sollen Regenschirme schon anderes bedeuten, als dass es eben regnet; aber dass Requisiten keine unmittelbar-praktische Funktion innerhalb der Spielhandlung haben, sondern Zeichencharakter, ist für Kinderhirne noch schwierig zu begreifen. Schwer zu interessieren sind die Kids für die Essenz des Stücks, für den Flügelmann, seine tiefgefrorene Traurigkeit und das spätere Auftauen seiner Flatterlust.

Hier ist die Choreografie vermutlich zu dezent. Mit seiner langen textfreien Anfangspassage, die nur langsam eine Geschichte ins Rollen bringt, ist dieses Stück teils lustig, teils sperrig und gerade in dieser Mischung überaus interessant. Für Erwachsene aber ist diese fein ausziselierte Kinderwelt überaus entzückend, wie ja auch Disneys Dschungelbuch erst von Menschen ab 40 in seiner vollen Herrlichkeit erkannt werden kann. Was wieder mal beweist, dass Erwachsene die besseren Kinder sind – und niemand weiß, ob das nun gut oder schlecht ist. bk

Weitere Aufführungen am 15., 16. und 17. Dezember sowie am 13. und 14. Januar, jeweils um 17 Uhr

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