: Serial Experiment Zukunft
In den geschichtslosen Weiten des Weltraums regiert das Hipstertum: Das Eiszeit-Kino zeigt in diesen Tagen 14 Folgen der preisgekrönten japanischen Science-Fiction-Zeichentrickserie „Cowboy Bebop“
Wir schreiben das Jahr 2071. Die Menschheit ist in den Weltraum übergesiedelt und hat die Kultur der letzten terrestrischen Jahrhunderte weit hinter sich gelassen. Geblieben sind nur ein paar Zitate, von denen niemand mehr weiß, von wem sie eigentlich stammen, die sich aber immer noch ganz gut anhören: „Wer empfangen will, muss zunächst einmal geben“, sagt Jet, als er sich mit seinem Kumpel Spike zu einem interstellaren Spielkasino irgendwo am Rand der Milchstraße aufmacht, und dann streiten sich die beiden, ob das nun ein Satz von Goethe oder doch von Charlie Parker war. Sie werden sich nicht einig, aber in den geschichtslosen Weiten des Weltraums haben solche feinen Unterschiede eh keine Bedeutung mehr.
Charlie Parker zumindest scheint den beiden näher zu liegen als Goethe. Spike Spiegel und Jet Black, die als mehr oder weniger erfolglose Kopfgeldjäger im All unterwegs sind, haben ihr Raumschiff „Cowboy Bebop“ genannt – und scheinen die aufregenden Anklänge dieser Wortkomposition zu ahnen: Abenteuertum, Dissidenz und Coolness.
Für diese Mischung ist natürlich in unseren, der Zukunft mehr denn je zugewandten Zeiten vor allem das japanische Fernsehen zuständig: „Cowboy Bebop“ ist darum auch der Titel einer Zeichentrickserie, zu deren Hauptfiguren Spike und Jet gehören und die 1999 zum besten Manga des Jahres gewählt wurde. Das Eiszeit-Kino hatte bereits den Sieger des Jahres 1998 vorgestellt – den Teenager- und High-Tech-Manga „Serial Experiment Lain“ – und zeigt jetzt ein Programm mit vierzehn Folgen von „Cowboy Bebop“.
„One, two, three, let’s jam . . .“ – Mit dieser Aufforderung läuft „Tank!“, der Titelsong der Serie, an. Ein vibrierendes Kontrabass-Break und ein paar nervöse Trompetenläufe untermalen die Bilder des schlacksigen Spike, der sich in der vollendeten Hipster-Pose der späten 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts eine Zigarette anzündet. Dann ist der Vorspann vorbei, und wir befinden uns im Weltraum beziehungweise in einer der typischen, mit kulturhistorischen Anspielungen voll gepackten Stadtlandschaften der näheren Zukunft: Auf der Venus lebt man in bröckeliger Neogotik, wie man sie aus Fritz Langs „Metropolis“ und Ridley Scotts „Blade Runner“ kennt, und auf dem Mars in schicken Dockland-Architekturen in Wassernähe.
So geschichtslos sind die Weiten des Weltraums also gar nicht. Es ist deshalb nur umso eindrucksvoller, wie lässig die japanischen Anime-Regisseure ihre scharfkantigen Weltraumcowboys und fantasievollen Raumschiffe durch die eher zufällig ausgewählten Überreste der abendländischen Kultur jagen – und dabei neben den schnell geschnittenen Handlungen der Episoden auch noch eine großflächig angelegte Hintergrundgeschichte erzählen können: Die Biografien von Spike Spiegel und seiner verlorenen Liebe Julia, von der sexy Spielerin Faye Valentine und dem Computerexperten Jet Black reichen weit in die Vergangenheit zurück.
Selbstverständlich liegt auch diese vorfuturistische Vergangenheit für uns fantasielose Europäer immer noch in weiter Ferne. Das japanische Fernsehpublikum, das der Zukunft als ausgewähltes Volk in Vorabendserien schon jetzt so nahe kommen darf, ist darum sehr zu beneiden.
KOLJA MENSING
Täglich 22 Uhr, Eiszeit 2, Zeughofstr. 20
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen