Muskelmann verteilt nur Ohrfeigen

Nach seinem Punktsieg gegen den überaus harmlosen Italiener Silvio Branco ist der 33-jährige IBF-Weltmeister Sven Ottke weiterhin zu leicht für Dariusz Michalczewski und zu soft für den US-amerikanischen Wunderboxer Roy Jones jr.

aus Karlsruhe HARTMUT METZ

„Da hab ja ich mehr Power im Arm“, höhnte eine Dame und spannte demonstrativ ihren augenscheinlich gut trainierten Bizeps. Silvio Branco, Weltmeister im Supermittelgewicht der unbedeutenden World Boxing Union (WBU), kämpfte wie ein Waschweib, sollte die Geste heißen. Entsprechend leicht hatte es Sven Ottke in der Karlsruher Europahalle, mit einem Punktsieg nach zwölf Runden seinen WM-Gürtel der Internationalen Boxing Federation (IBF) zu verteidigen.

Für Branco war es ein schauderhafter Abend, an dem nichts ging. Nicht einmal anschließend bei der Dopingprobe, die sich über Stunden hinzog. „Nein!“ Kurz und energisch beantwortete stattdessen Mario Massai die Frage, ob er seinen Schützling jemals so schwach gesehen habe wie bei der fünften Niederlage im 47. Profi-Fight. Der Coach des Italieners grantelte, „Silvio kämpfte überhaupt nicht. Ich weiß nicht warum. Er wirkte wie blockiert.“ Mehr angetan zeigte er sich vom Kontrahenten Ottke, der gewohnt schnell auf den Gegner zugegangen sei, um in der Nahdistanz Hiebe auszuteilen. „Als ich ihm sagte, dass auch Promoter Wilfried Sauerland dies für die beste Taktik hält, hat Sven es nach zwei Runden auch so gemacht“, ulkte Ottke-Betreuer Ulli Wegner. Fortan marschierte der neun Zentimeter kleinere IBF-Weltmeister an der kraftlosen Führhand des 1,87 Meter großen Herausforderers munter vorbei. Erst einmal in die Ringseile gedrängt, half dem 34-Jährigen seine größere Reichweite nur zu einem: „Er verpasste mir viele Ohrfeigen. Das tut sauweh“, beklagte sich Ottke hernach, als ein Eisbeutel seinem rechten Ohr Linderung verschaffte. Treffer landete Branco kaum. „Ich hatte es mir, ehrlich gesagt, schwerer vorgestellt“, räumte Ottke ein.

Während Wegner und Sauerland ihren Boxer zum gewieften Taktiker erhoben, der „zeigte, dass er der beste Supermittelgewichtler der Welt ist“, redete IBF-Vizepräsident Benedetto Montanella Tacheles. „Branco kämpfte nicht. Er wollte nur gesund nach Hause kommen“, urteilte der Italiener über seinen Landsmann, der sich in seinem Fitnessstudio in der Hafenstadt Civitavecchia wohlproportionierte Muskeln antrainiert hat. Nach dem Pressetraining schrieben die Stuttgarter Nachrichten über den „weißen Fighter mit der besten Figur“ (Trainer Massai): „Als er seinen Oberkörper entblößte, sind die anwesenden Frauen fast in Ohnmacht gefallen.“ Ottke ohnmächtig zu schlagen, fehlte allerdings der Punch. Das wusste dessen Coach Wegner schon vorher. „Man sieht, dass Branco viel mit Kraft trainiert. Das macht müde.“

Entsprechend schlapp agierte der Herausforderer im Ring. Das bemerkte selbst Geburtstagskind Heike Drechsler bei ihrem ersten Besuch eines Boxabends. „Ich hätte mir mehr Attacken des Italieners gewünscht“, sagte die Weitsprung-Olympiasiegerin, die gestern Abend zur Sportlerin des Jahres gewählt wurde. Um außerdem am Samstag Ottke und tags darauf im nahen Baden-Baden Nils Schumann sowie der Mannschaft des Jahres, dem Bahnrad-Vierer, die Ehre zu erweisen, weilte zahlreiche Sportprominenz unter den 4.500 Besuchern. Die Experten unter ihnen hätten lieber Zeljko Mavrovic im Seilgeviert gesehen. Doch der Ex-Europameister im Schwergewicht, bekannt durch seinen Irokesen-Haarschnitt, hatte Stunden zuvor seinen Rücktritt erklärt. Wegen weiter ungelöster gesundheitlicher Probleme verlor Mavrovic 20 seiner 98 Kilogramm Gewicht, die er noch vor zwei Jahren bei der knappen Niederlage gegen Weltmeister Lennox Lewis auf die Waage gebracht hatte.

An einen Rücktritt des 33-jährigen Ottke wird im Sauerland-Stall nicht gedacht. „Sven wäre ja dumm, wenn er bei solchen Leistungen aufhörte“, befand Trainer Wegner. Trotz der Fortsetzung der Karriere wird es aber nicht zu einem Duell mit Dariusz Michalczewski kommen. „Er kommt nicht runter in meine Gewichtsklasse. Und wenn ich ins Halbschwergewicht aufrückte, ginge es bei der WBO um nichts“, stellte Ottke klar.

Im Internet wurde am Samstag zwar die Nachricht vom ersehnten Kampf mit Roy Jones jr. (USA) verbreitet, doch das wird eine Ente bleiben. „Das gäbe sicher einen Superkampf, weil er mich auch erst einmal treffen muss. Wenn ausnahmsweise ein K.o. kommt, okay. Ich gehe aber immer von zwölf Runden aus“, schwärmte Ottke von einem Treffen mit dem Amerikaner. „Sorry, aber fehlt Ihnen dazu nicht der Punch?“, lieferte eine US-Journalistin die in eine Frage gepackte Antwort gleich mit, warum es nie zu einem Kampf gegen den Traumgegner kommen wird. Die deutschen Fans mögen ihrem „Svennie“ die nur zwei K.o.-Siege in 21 Fights verzeihen. Die Amerikaner lieben hingegen Totschläger mehr als Techniker.