: Her mit dem Vetorecht!
Riesters geplante Reform der Mitbestimmung wird die Betriebsräte weiter entmachten.Sofern es sie überhaupt gibt: Die Zahl der Firmen ohne Betriebsrat dürfte zunehmen
Nirgendwo hat sich unsere Gesellschaft in den letzten 25 Jahren so radikal verändert wie in den Firmen. Und niemand weiß das besser als die deutschen Betriebsräte, die mit einem Betriebsverfassungsgesetz leben müssen, das für die modernen Unternehmen ähnlich geeignet zu sein scheint wie einstmals die Preußische Gesindeordnung für Krupps Hochöfen. Nun soll das Gesetz reformiert werden. Doch bieten sich völlig gegensätzliche Modernisierungswege an – wobei Gewerkschaften und Bundesregierung weit auseinander liegen. Einig ist man sich nur in der Problemanalyse: dass das Betriebsverfassungsgesetz immer weniger greift, dass die Zahl der Betriebsräte abnimmt und dass die betriebliche Mitbestimmung flexibler werden muss.
Aber schon die Frage, weshalb es wieder mehr Betriebsräte geben sollte, wird völlig entgegengesetzt beantwortet. Der Arbeitsminister meint, dass Betriebsräte etwa gebraucht werden, um den Flächentarif weiter zu differenzieren: Denn nur dort, wo Betriebsräte existieren, lassen sich auch tariflich erlaubte Lohnabsenkungen verhandeln. Die zuständige Fachfrau der Grünen, Thea Dückert, geht noch weiter; sie fordert, dass auch das gesetzliche „Günstigkeitsprinzip“ umgekehrt werden muss. Bisher können Betriebsräte nämlich nur betriebliche Vereinbarungen abschließen, die günstiger als der Tarifvertrag sind. Gemeinsam mit der FDP sind sich die Grünen jedoch einig, dass es häufig günstiger ist, auf tarifliche Zahlung zu verzichten, wenn damit Arbeitsplätze gesichert werden.
Da wundert es nicht, dass die Modernisierer nicht müde werden, das Betriebsverfassungsgesetz als Standortvorteil für die deutsche Wirtschaft zu preisen. Während über das Gesetz von 1972 noch die Parole „mehr Demokratie wagen“ geschrieben wurde, geht es heute um mehr Wettbewerb, der gegenüber den Gewerkschaften und Beschäftigten als ein Mehr an Individualität verkauft wird. Wie überhaupt das größte Problem der Reformdebatte ist, dass ursprünglich positiv besetzte Begriffe in ihr Gegenteil verkehrt werden. So spricht man von mehr „Eigenverantwortung“ oder sogar von „Mitbestimmung am Arbeitsplatz“ und meint doch nur, dass etwa Arbeitsgruppen darüber mitbestimmen sollen, ob sie zur Verbesserung ihrer innerbetrieblichen Konkurrenzsituation nicht gewisse Zugeständnisse machen können.
Die Schwierigkeiten der Gewerkschaften wurzeln aber nicht nur in der Definitionsmacht, die Neoliberale und moderne Sozialdemokraten inzwischen gewonnen haben. Denn nicht nur die alten Begriffe, auch die alten Formen der gewerkschaftlichen Gegenmacht beginnen stumpf zu werden. Das Betriebsverfassungsgesetz entspricht einem Arbeitsalltag, der die Beschäftigten vermasste und sie kleinlichen Kontrollen unterwarf. Als starke Gegenstruktur wurde der Betriebsrat geschaffen, um Willkür und Entmündigung entgegenzutreten.
Der moderne Betrieb – noch nicht ganz die Regel – entspricht nicht mehr dieser traditionellen Unternehmenskultur. Er fördert nicht nur die Eigenverantwortlichkeit seiner Angestellten, er fordert sie. Er zwingt immer mehr Beschäftigte, sich als Investor ihrer eigenen Arbeitskraft zu verhalten, und macht sie zu Teilhabern des angeblich gleich verteilten Unternehmerrisikos. Natürlich ist das eine Schimäre, weil außer dem Risiko nichts geteilt wird, aber die Mystifikation ist nicht nur eingetrichterte Ideologie, sondern deckt sich mit der Alltagserfahrung der modernen Lohnarbeiter. Nicht nur Scheinselbstständige, auch ganz normale Beschäftigte erfahren sich plötzlich als selbstständige Wirtschaftssubjekte und ihre KollegInnen als Wettbewerber. Dies gilt besonders für Angestellte, die Kunden betreuen oder Verantwortung für vorgegebene betriebswirtschaftliche Ziele tragen.
Die kollektiven Schutzrechte der Beschäftigten müssen neu definiert und die Mitbestimmungsformen neu erfunden werden. Immer weniger lässt sich einmalig durch eine Betriebsvereinbarung regeln – und dies für alle Beschäftigten gleich. So weit haben Regierung und Gewerkschaften Recht. Nur muss dies nicht heißen, was Riester und erst recht die Grünen planen: nämlich die Mitbestimmung des Betriebsrats aufzugeben und durch viele kleine egoistische Aushandlungen zu ersetzen. Die Betriebsräte müssen stattdessen mehr Einfluss auf die Rahmenbedingungen, auf Mindeststandards, auf Leistungsbewertungen und betriebliche Organisationsentscheidungen haben. Und ganz wichtig: Ihre Mitbestimmung muss prozessbegleitend sein. Erst dann ist es sinnvoll, die konkrete Ausgestaltung nach unten zu verlagern. Das aber erfordert nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung. So müssen Betriebsräte über die Personalplanung, über Qualifizierungsmaßnahmen und auch über Organisationsstrukturen oder neue Beschäftigungsformen entscheiden können, um Konkurrenz und Aufspaltung der Belegschaften zurückzudrängen. Und Mitbestimmung heißt nicht nur, dass die Betriebsräte informiert oder angehört werden. Nein, sie müssen auch ein Vetorecht haben und die Einigungsstelle anrufen können.
Das Problem der Vorschläge von Riester ist, dass er Flexiblisierung fordert, ohne dass er den Gewerkschaften mehr Einfluss auf Grundsatzentscheidungen einräumen will. Fast alle Forderungen von DGB und DAG tauchen in den Vorschlägen nicht mehr auf, die der Arbeitsminister kursieren lässt. Das gilt nicht nur für die Ausweitung wirklicher Mitbestimmungsrechte, sondern gerade auch für die Eindämmung betriebsratsloser Zonen.
Warum eigentlich bleibt es dem Mut der Beschäftigten oder dem Wohlwollen eines Arbeitgebers überlassen, ob irgendwo ein Betriebsrat zustande kommt? Und warum sind es die Belegschaften oder Wahlvorstände, die beweisen müssen, dass sie zu einem Betrieb gehören? Warum müssen nicht umgekehrt die Unternehmen nachweisen, dass ihr Kunstgebilde aus vielen angeblich selbstständigen Einheiten nicht nur zu dem Zweck geschaffen wurde, einen Betriebsrat zu verhindern?
Es gäbe einen sehr einfachen Ausweg, den die PDS-Bundestagsfraktion auch schon als Antrag eingebracht hat. Die PDS möchte ein Betriebsregister einführen, das wie das Handelsregister geführt wird und die willkürliche Produktion von immer neuen Betriebe verhindert. Denn dann müssten nicht mehr die Beschäftigte begründen, dass mancher betriebliche Flickenteppich eigentlich ein einheitlicher Betrieb ist, sondern die Unternehmer hätten den Beweis zu erbringen, dass ihre virtuellen Gründungen wirklich neue Betriebe sind. Würden dann auch noch die Betriebsratswahlen öffentlich vorbereitet, wie das etwa bei Personalratswahlen oder Sozialwahlen selbstverständlich ist, ließen sich die betriebsratsfreien Zonen sehr schnell schließen. Doch lassen der Mut des Arbeitsministers und die Wirtschaftsfreundlichkeit des Kanzlers dies zurzeit offenbar nicht zu. HARALD WERNER
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