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Zwei auf getrennten Wegen

Bayern München setzt mit dem 3:1 bei Hertha BSC zu einem vorweihnachtlichen Tabellensprung an, die kraftlosen Berliner müssen die Winterpause mit dem Lecken ihrer Dezemberwunden verbringen

aus Berlin MATTI LIESKE

In dem Horrorfilm „Das Ding aus einer anderen Welt“ trifft eine Gruppe von Wissenschaftlern auf ein Wesen, das ihnen im weiteren Verlauf der Handlung zügig die Körpersäfte aussaugt. Ähnliches widerfuhr kürzlich den Spielern von Hertha BSC. Das Wesen hieß Hakan Sükür und spielt bei Inter Mailand. Mit seinem Tor kurz vor Ende des Uefa-Cup-Rückspiels zwischen den beiden Klubs sorgte der Stürmer nicht nur für das plötzliche Ausscheiden der Berliner, sondern leitete einen tiefen Sturz ein: von der Tabellenspitze der Bundesliga auf Rang sechs, vom heißen Kandidaten auf die Meisterschaft zu einem Team, das im nächsten Jahr heftig um den Anschluss an jene Plätze kämpfen muss, die für einen weiteren europäischen Auftritt berechtigen und damit die Chance auf eine neue Begegnung der Sükür-Art bieten.

„Wir haben uns in den letzten Spielen fast alles kaputtgemacht, was wir uns vorher sehr, sehr gut erspielt haben“, klagte Jürgen Röber nach dem 1:3 am Sonntag gegen Bayern München, und immer wieder kommt der Hertha-Trainer auf die böse Minute gegen Inter zu sprechen: „Bis zum Mailand-Spiel war die Saison sehr gelungen.“ Danach trat die Mannschaft mutlos und ohne Biss auf, verlor in Leverkusen, zu Hause gegen Kaiserslautern und spielte gegen Freiburg nach 2:0-Führung nur 2:2. Den Bayern hatten die Berliner im ausverkauften Olympiastadion von Anfang an kaum etwas entgegenzusetzen. „Wir hatten keine Kraft mehr“, resümierte Eyjölfur Sverrisson, „weder körperlich noch seelisch.“

Parallel zum Abstieg der Hertha verlief der Aufstieg der Münchner. Über „Big Points“ gegen Hertha freute sich Bayern-Coach Ottmar Hitzfeld, der schon durch seine Körpersprache im Vergleich mit dem Kollegen Röber den aktuellen Tabellenstand deutlich machte. „Die Mannschaft hat Selbstbewusstsein gezeigt und dass sie dieses Spiel für sich entscheiden will“, lobte Hitzfeld die „positive Reaktion“ seines Teams nach zuletzt schwächeren Spielen. Bis auf einen Punkt sind die Münchner an Spitzenreiter Schalke herangerückt, und wenn es einmal Zweifel gegeben hat, wie am Ende der Saison der Meister heißen wird, dann sind diese am Sonntag sehr winzig geworden. „Wir haben vier Mal gegen Mannschaften der unteren Tabellenhälfte verloren, aber dafür gute Spiele gegen Mannschaften der oberen Tabellenhälfte gemacht“, erklärte der Münchner Trainer den versöhnlichen Jahresabschluss.

Ganz anders die Herthaner. Deren bisherige Bilanz gegen die fünf Mannschaften, die jetzt vor ihnen stehen: 0:18 Punkte, 4:21 Tore. Die Bilanz gegen den Rest der Liga: 28:7 Punkte, 33:13 Tore. Die Berliner haben ebenso viele Tore geschossen wie Schalke und Bayern, aber auch ebenso viele kassiert wie der Tabellenletzte VfL Bochum. Zur Erklärung dieses bedenklichen Umstandes hat Jürgen Röber seine Zweidritteltheorie entwickelt. „Zwei Drittel unserer Tore waren hervorragend herausgespielt“, sagt er völlig zu Recht, auch der Treffer gegen die Bayern entsprang einer schönen Kombination, die Preetz abschloss. „Bei zwei Dritteln der Gegentore stehen wir falsch“, benennt Röber aber auch die Kehrseite der Medaille. Und da Qualitätsteams solche Mängel resolut ausnutzen, auf der anderen Seite selbst solider in der Abwehr stehen, erscheint die miserable Bilanz gegen derartige Mannschaften ebenso logisch wie Sükürs fataler Treffer in Mailand, dem, wir ahnen es, ein Stellungsfehler voraus ging.

Diese Missstände, die sich nach der Mailänder Kraftabsaugung beängstigend häuften, abzustellen, ist das Ziel der Hertha-Verantwortlichen für die Winterpause, die für die Berliner am letzten Januar-Wochenende mit dem Spiel beim Hamburger SV endet. „Wir müssen uns mit taktischer Disziplin beschäftigen“, sagt Manager Dieter Honeß. An personelle Verstärkungen für die Abwehr ist nicht gedacht. „Es müsste ein überragender Mann sein, alles andere haben wir“, sagt Röber, und überragende Spieler sind entweder nicht auf dem Markt oder nicht zu bezahlen. „Wenn du die willst, musst du Möglichkeiten haben wie Manchester United“, weiß der Coach.

Gar nicht haben will Dieter Hoeneß die in solchen Situationen obligatorische und von einigen Medien inbrünstig gepflegte Trainerdiskussion. Der Manager verbat sich nach der Niederlage gegen Bayern jede Frage zu diesem Thema, wohl wissend, dass jedwede Antwort nur Futter für Spekulationen liefern würde. Jürgen Röber bittet derweil förmlich um Gnade: „Man sollte wegen dieser anderthalb Wochen nicht alles in Frage stellen.“ Klar dürfte sein: Hakan Sükür bekommt sicherlich kein Weihnachtsgeschenk vom Hertha-Trainer.

Hertha BSC: Kiraly - Rehmer, van Burik, Sverrisson, Hartmann - Dardai, Beinlich (66. Daei), Tretschok, Wosz (66. Sanneh) - Alves, Preetz Kuffour - Jeremies, Fink, Effenberg, Salihamidzic - Santa Cruz (89. Sergio), Elber (80. Scholl), Zickler Zuschauer: 57.169; Tore: 0:1 Santa Cruz (16.), 1:1 Preetz (25.), 1:2 Effenberg (33., Foulelfmeter), 1:3 Zickler (60.)

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