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Ferien zum Tode

Eckhart Nickel: „Was ich davon halte“. Erzählungen. Quadriga. Berlin 2000. 160 Seiten. 29,90 DM

Das Jahr 2000 war das Jahr der Trennungen. Konnten wir kürzlich in der Bild-Zeitung lesen. Und wissen wir auch selbst. Die Gründe? Eine ungünstige Sternenkonstellation? Eine Neuanfangsmanie zu Beginn eines neuen Jahrtausends? Oder sind wir einfach alle um die dreißig und glauben, jetzt müsse das Leben aber wirklich, endlich und – zum wievielten Mal eigentlich? – endgültig beginnen? Ach.

„Mir ein unfassliches Gesetz, das so Vertraute wieder in Fremde verwandelt. Verfluchte Passanten-Welt!“, wütete Botho Strauß vor zwanzig Jahren. Eckhart Nickel schreibt in seinem neuen Buch: „Die gesellschaftliche Kondition des Geschlechtsverhaltens, dessen Rasterfahndung nach Verdachtsmomenten so lange sucht, bis der Grund zur Ablehnung die Sehnsucht nach Nähe hat vergessen lassen und das Geschehen als zwangsläufig empfindet, ist möglicherweise längst genetisch. Kühle, Kälte, Frieren. Pullover zur Nacht.“

Der Zwang zum Abschiednehmen als genetischer Defekt: Die Menschen, die Nickels Erzählungen bevölkern, nehmen Abschied aus Gewohnheit und weil nichts von Dauer sein kann. Wiederholung und Konstanz, Wiedersehen mit Altbekanntem ist der Tod. Man ist auf der Suche nach immer neuen Sinnesreizen und ist doch schon lange, lange unempfindlich, unempfänglich für jede neue Sensation. Es gibt nichts Neues mehr, gibt nichts mehr zu erleben. Ein innerer Zwang treibt die Menschen voran und sie wissen doch, dass all diesem „Voran“ nie ein Ankommen folgen wird. Sie haben mit dreißig Jahren schon alle Länder gesehen, alle großen Bücher gelesen, alle Gefühle gefühlt, alle Leben gelebt und sind nun abgestumpft und leer bis zur Verzweiflung. Jedem Anfang wohnt schon das Ende inne. Der Zwang zum Ende, bald sehr bald. Und über allen und allem schwebt nun eine große, große Langeweile, eine Lebensmüdigkeit. Nur eine letzte innere Festigkeit und Disziplin schiebt den letzten großen Abschied aus dieser überreichen, dekadenten, satten Welt noch auf und auf.

„Liebe Odile“, schreibt ein Cecil aus dem Café Museum in Wien an eine Augenblicksgeliebte. „Alles ist so müde. Viel wird, so glaube ich, nicht übrig bleiben von uns beiden.“ Und schließt: „Es wird heute Nacht ein furchtbares schwarzes Gewitter geben.“ Vieles wirkt sehr alt an Nickels Buch. Wirkt wie aus einer Zeit, als in jenem Café Museum oder im Griensteidl noch Peter Altenberg saß und schrieb, dessen erstes Buch vor mehr als hundert Jahren unter dem Titel „Wie ich es sehe“ erschien und den Arnold Höllriegel (s. u.) einen „byzantinischen Künstler der Verfallszeit“ genannt hatte. Nickels Buch heißt „Was ich davon halte“, und nicht nur der Titel lässt ihn als einen späten Verwandten jenes österreichischen Décadence-Künstlers und Verfallsmeisters erscheinen. Nickel ist ein würdiger Verwandter. Ein Abschiedskünstler und großer Melancholiker. Dichter der neuen Décadence am Jahrhundertende und trauriger Genetiker des Trennungsjahres 2000.

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