: Biedenkopf vergaß noch mehr
betr.: „Biedenkopfs Mauer“ (Fall Sebnitz), taz vom 16./17. 12. 00
Jedes Opfer, jede(r) Tote, ist ein Opfer zu viel! Trotzdem – um gegen das Vergessen anzukämpfen – bin ich über die mangelhafte Recherche sehr, sehr traurig.
Meine Quelle: Der Tagesspiegel vom 14. 9. 00. Der von Ihnen geschilderte Mord (Jorge Gomondai) ereignete sich am 31. 3. 91 in Dresden. Es war eben nicht der einzige:
11. 10. 92: Waltraud Scheffler redete als Aushilfskellnerin in Geierswalde (Sachsen) auf Skinheads nach „Sieg Heil“-Rufen ein. Der Mörder erhielt viereinhalb Jahre Jugendstrafe; 28. 5. 94: 43-jähriger Mieter wird in Leipzig, Lützner Straße, zu Tode geprügelt. Er hatte Skinheads um Ruhe gebeten. Haupttäter fünf Jahre; 28. 5. 95: Peter T., 24-jähriger Soldat, wollte angegriffenen Pakistani helfen! Wird in Hohenstein/Ernstthal (Sachsen) so geschlagen, dass er neun Tage später stirbt. Tätergruppe erhält zum Teil „Bewährung“; Haupttäter drei Jahre und zehn Monate Haft; 8. 5. 96: Bernd G. Der Geschäftsmann wird in Leipzig (Sachsen) auf offener Straße (Ortsteil Wahren) aus „Lust und Spaß“ (aus der Urteilsbegründung) ermordet. Die der rechten Szene zugerechneten Täter erhalten bis zu 14 1/2 Jahre Haft (wegen Mordes); 23. 11. 96 Achmed Bachir wird vor einem Leipziger Gemüsegeschäft erstochen. Der Asylbewerber verteidigte deutsche KollegInnen, die zuvor als „Türkenschlampen“ beschimpft wurden. Haupttäter erhält neuneinhalb Jahre Jugendstrafe wegen Mordes; Juli 98: Nuno Lourenco. Der portugiesische Zimmermann wird in Leipzig niedergeschlagen und stirbt an den Folgen am 29. 12. 98. Der Haupttäter, der „Ausländer hacken“ wollte, erhält vier Jahre Haft (Körperverletzung mit Todesfolge). Alles das hat Ministerpräsident Biedenkopf „vergessen“. [...] KAI LILIE, Berlin
Geht es in Eurer Berichterstattung überhaupt noch um den toten Jungen? Oder um die Familie Abdullah? Kurz: um die Hintergründe dieses Todesfalls? Wir glauben nicht, denn der eigentliche Fall Sebnitz tritt auf der Stelle, Opfer- und Täterrollen sind mittlerweile austauschbar und scheinen nicht mehr von Interesse zu sein, eine Aufklärung findet nicht mehr statt. Stattdessen wird der Fall Sebnitz nur noch zum Blickfang auf den Titelseiten der Presse, zu propagandistischen Schlammschlacht ausgeweitet. Mehr scheint dieser tragische Todesfall nicht mehr herzugeben. [...]
MARKUS GRANDJNE, JUDITH GEISEL, Konstanz
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