: Silvester mit Brecht
Politikspektakel: Brecht-Tochter Hanne Hiob steigt zu Silvester auf den „Mahagonny“-Zug, der durch Mitte zieht
Die Innenstadt gehört am Silvesterabend den Feiernden. Nicht ganz – einige Unverdrossene planen zum Millenniumsbeginn ein kulturelles Politspektakel der besonderen Art. „Wir schlagen Euch vor, am Jahrtausend-Silvester die Straßen Berlins mit Bertolt Brecht uns seiner Tochter unsicher zu machen“, heißt es in einer Presseerklärung des Büro Mahagonny/Anachronistischer Zug. Nach den Planungen des Vorbereitungsteams sollen in der Menge der Feiernden um Mitternacht Menschen mit Transparenten auftauchen, auf denen Parolen wie „Für den Fortbestand des Goldenen Zeitalters“, „Für den Kampf aller gegen alle“ und „Für die Unsterblichkeit der Gemeinheit“ steht. Sie wollen gemeinsam mit der Brecht-Tochter Hanne Hiob das Finale der Brecht-Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ inszenieren, die Brecht 1923 als Synonym für das präfaschistische München schrieb.
Zuvor soll Brechts Gedicht „Der Anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy“ auf über 20 Lkws in verschiedenen Stadtteilen aufgeführt werden. Brecht schrieb es 1947 als Warnung vor der Rückkehr von Altnazis in allen Bereichen der deutschen Politik. In knappen Vierzeilern erklären ÄrztInnen, JournalistInnen, JuristInnen und andere Berufsgruppen, warum sie weiterhin unentbehrlich sind. Vor über 20 Jahren begann eine Gruppe von PolitaktivistInnen mit maoistischem Background anlässlich der Wahl des ehemaligen NSDAP-Mitglieds Karl Carstens zum Bundespräsidenten 1979 und der Kanzlerkanditatur von F. J. Strauß zur Bundestagswahl 1980 mit der Open-Air-Aufführung des Stückes. Anfang der 90er-Jahre war auf einen Kongress in der Humboldt-Universität unter dem Motto „Wohin fährt der Anachronistische Zug“ Perspektivdiskussion angesagt. „Es gab keine Initiative, die den Zug gerufen hat, und das Geld fehlte“, erklärte Heinz Klee vom Berliner Vorbereitungsbüro die lange Auszeit. PETER NOWAK
Beginn des Zuges ist am 31.12. gegen 21 Uhr an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz. Infos: Tel. 24 00 95 05 oder www.mahagonny.online.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen