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Japan dreht durch

Pervers und pathologisch: Takashi Miikes Film „Dead or Alive“ demontiert eine gewalttätige Gesellschaft, die gerade in die Selbstzerstörung driftet

Takashis Bilder sind von in dieser Form noch nie praktiziertem Ekel

von ANDREAS BUSCHE

Die exzesshafte Kultivierung eines (neuen) Genre-Kinos driftet innerhalb der japanischen Filmindustrie langsam ins Wahnhafte ab. Für diese Erkenntnis bedarf es nicht einmal mehr der Feldforschung an der Peripherie, die hässliche Fratze der Degeneration entblösst sich ungehemmt inmitten des japanischen Mainstreams. Die Genusssucht am Retardierten und Pervertierten im Genrefilm hat inzwischen pathologische Züge angenommen. Nirgendwo ist dieser Zustand klarer als im zeitgenössischen Yakuza-Film, im Rest der Welt verkörpert durch Takeshi Kitano, der in diesem Monat mit seinem neuen Film „Brother“ endgültig das Scheitern des japanischen Gesellschaftssystems verkündet. Dessen automatisierte Gewaltstrukturen haben eine Kriegsmaschine produziert, die sich nur noch über den eigenen Selbstzerstörungsmechanismus unter Kontrolle bringen lässt. Bis es aber so weit ist, werden nicht wenige über den Jordan geschickt.

Takashi Miike, im Januar gleich mit zwei deutschen Filmstarts, ist da ein Autor von besonders schwerem Kaliber. Seine Yakuza-Filme, die nur einen kleinen Teil seines beachtlichen Gesamtwerks (immerhin dreißig Filme in acht Jahren) darstellen, entsagen jeglicher Genre-Konvention und dramaturgischer Stringenz. Miike benutzt die Schemata und klassischen Figurenkonstellationen von Suzuki bis Sato lediglich noch, um über sie eine irrwitzige und entfesselt brutalisierte Demontage der japanischen Gesellschaft zu vollziehen. Ein Kino, das in seiner Folgerichtigkeit das zutiefst abstoßende Bild einer sozialen Bankrotterklärung zeichnet.

Die Bilder, die Miike in „Dead or Alive“ für diesen Zustand der Selbstauflösung und Entwürdigung findet, sind von selten gesehener Plakativität und in dieser Form noch nie praktiziertem Ekel: Da gibt es den Adrenalin-Junkie, der den Abzug seiner Waffe so lange betätigt, bis es ihm den Kopf wegbläst, den Polizisten, der sich seine Informationen vom Setting eines Tierporno-Drehs besorgt, oder den Yakuza, der eine Prostituierte in einem lächerlich orangen Gummiplantschbecken in ihrer eigenen flüssigen Scheiße ersäuft.

Außerhalb von Japan wird Mike wahrscheinlich genau deshalb so großen Erfolg haben, weil er mit seinen Filmen – mehr noch als Takeshi – die westlichen Erwartungen an das jüngere japanische Kino zementiert – nachdem er sie selbst auf die Spitze getrieben hat: fundamentale Mängel in der zwischenmenschlichen Kommunikation bis hin zu totalem Autismus, die eisige soziale Kälte des spätkapitalistischen Sozialdarwinismus und bizarre Exzesse mit hohem Score in der Gewalt- und Sex-Explizität.

Sein Bruch mit den Regeln des Genres setzt dort ein, wo die Imaginationskraft des Fantasten Miike an der Musterhaftigkeit des Yakuza-Films zu verzweifeln droht. So wird der Zweikampf zwischen dem chinesisch-stämmigen Gangster Ryuichi und dem Polizisten Jojima nicht nur ein Kampf der Fremdkörper im System, des Unangepassten gegen den Unanpassbaren (am Subplot der chinesischen Migranten beweist Miike sein politisches und psychologisches Verständnis), sondern gleichzeitig auch – und in diesem Fall wäre der Godzilla-Vergleich wirklich einmal angebracht – ein Krieg um Japan, an dessen (furiosem) Ende nur noch konsequent die Apokalypse stehen kann.

Miikes Kino der Verstörung ist ein heilsamer Schock.

„Dead or Alive“. Regie Takashi Miike. Darsteller: Show Aikawa, Riki Takeuchi u.a., Japan 1999, 105 Min., OmUAb heute im Central 1, Rosenthalerstr. 39, um 20 Uhr und 22 Uhr

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