: Letzte Nachrichten aus der äußersten Mongolei
In Ulan Bator und Umgebung beginnt das neue Jahrtausend erst im „Weißen Monat“ Februar – ein Rückblick auf das mongolische Jahr 2000
Anfang des Jahres hörte Batschargals Tochter Angara (15) mit der Schule auf und fing bei der Zeitung Super ihres Vaters als Assistentin an. Unter anderem übersetzte sie Texte aus der Bravo ins Mongolische, zum Beispiel ein Interview mit Britney Spears. Mit einigen HipHop-Bands aus Ulan Bator führte sie auch selber Interviews, so mit der Gruppe „Lumino“. „Ihr ist deren Jugendslang geläufiger als mir“, erklärte dazu Chefredakteur Batschargal (42), der sich auf einen längeren Aufenthalt in Berlin vorbereitet, wo seine Tochter wieder zur Schule gehen soll. Er selbst will dort als Korrespondent für einige Zeitungen arbeiten – unter anderem für die größte private mongolische Boulevardzeitung Seruuleg (Wecker). Sie hat eine Auflage von 40.000, Batschargals Super wird einmal monatlich mit einer Auflage von 8.000 gedruckt.
Zum Frauentag am 8. März organisierte Batschargal wieder ein großes Fest, diesmal „Mondschein“ genannt, im Hotelrestaurant „Bayangol“ von Ulan Bator. Dort trat die Sängerin Sarantuya (Mondschein) auf, die zuletzt in Berlin lebte, wo sie im „Haus der Kulturen der Welt“ aufspielte. Im April begann der Wahlkampf für die Parlamentswahlen. Die Super interviewte eine Reihe von Kandidaten, etwa die Geologin S. Oyun, Schwester des ermordeten Ministers und mongolischen Demokratiesymbols S. Zorig. Seine Mörder werden noch immer gesucht, inzwischen auch vom FBI. S. Oyun trat für die neue Partei „Irgenii Zorig Nam“ (Bürgermut) an, die mit der mongolischen Grünen Partei („Nogoon Nam“) zusammen kämpfte. Stärkste Partei wurde jedoch mit 72 Sitzen die reformierte kommunistische Partei unter der Führung des Literaturübersetzers N. Enkhbayan, der nunmehr Premierminister ist. Einige Politiker fragten Batschargal, warum er in seiner Jugendzeitung politische Propaganda mache. Batschargal antwortete: „70 Prozent der Bevölkerung sind unter 35 Jahren alt, sie müssen doch für die Demokratie gewonnen werden.“
Die Wirtschaft blieb vom Wahlausgang weitgehend unbeeindruckt. Die Bevölkerung stieg von 2,3 auf 2,46 Millionen Einwohner. Erstmalig wurden maschinenlesbare Personalausweise ausgegeben. Die Fluglinie Miat, die einmal wöchentlich von Ulan Bator nach Berlin (neuerdings Tegel) und wieder zurück fliegt, offerierte verbilligte Sonderflüge zum Nationalfeiertag am 11. Juli, zu Silvester und zum Beginn des „Weißen Monats“ (Februar), in dem das mongolische Jahr wechselt. Auf Grund des strengen schneereichen Winters verhungerten fast drei Millionen Rinder und Schafe. Als Batschargal im Sommer als Reiseleiter mit einer Gruppe deutscher Touristen im nördlichen Hubsgal-Gebirge unterwegs war, stießen sie noch immer auf viele Tierleichen. In einer Super-Kolumne zum Thema „neue Armut“ wird von einer Frau berichtet, die ihre Muttermilch für fünf Dollar das Glas auf der Straße anbietet. Zwischen Ulan Bator und Darchan wurde eine neue Fernstraße eingeweiht, ferner eine neue Gas-Pipeline von Russland in Betrieb genommen. Als der russische Präsident Putin die Mongolei besuchte, unterschrieb er ein russisch-mongolisches Wirtschaftsabkommen. Inzwischen gibt es wieder fast 2.000 mongolische Studenten in Deutschland, die meisten in Berlin. Die Wochenzeitung Elite („Deedsin Amidral“) beschäftigte sich mit einigen mongolischen Studenten, die bereits in den 20er-Jahren hier studierten. Auf einem Gruppenfoto posieren sie mit einem Hakenkreuz. Der Kunsthistoriker D. Enkhdavaa erklärte dazu: Es handele sich um ein uraltes mongolisches Symbol.
Ende September flog Batschargal mit seiner Tochter Angara nach Berlin, wo sie erst einmal bei seiner Cousine Bayarma unterkamen. Diese will hier im nächsten Jahr ihr Studium der Theaterwissenschaften fortsetzen. Noch vor dem Abflug richtete Batschargal in seiner Zeitschrift Super eine neue Seite ein: „Hot News aus Berlin“. Im Oktober ging die mongolische Popgruppe „Dschingis Khan“ auf Europatournee und trat auch im „Haus der Kulturen der Welt“ auf – Batschargal berichtete sogleich darüber. Im November begann für seine Tochter Angara der Unterricht in der 9. Klasse der Charlottenburger Friedensburg-Oberschule. Am 15. Dezember feierten die mongolische Medien das zehnjährige Jubiläum ihrer Pressefreiheit. Aus diesem Anlass wurde Batschargal zum zweiten Mal ein Orden verliehen, der an seine Pionierleistung bei der Gründung einer freien, privaten Presse in der Mongolei seit 1990 erinnern soll. Der Orden wurde ihm in Abwesenheit verliehen: Sein junger Super-Kollege Tuvshin nahm ihn in Empfang. Am 19. Dezember bekam Batschargal erneut einen Orden verliehen bzw. seine Zeitschrift Super, die an diesem Tag ihr siebenjähriges Bestehen feierte. Dieses Ereignis wurde bei der amerikanischen Journalistin A. Shrivastava im Prenzlauer Berg mit einer Flasche mongolischen Wodka der Marke „Monhangai“ (ein Gebirgszug) gefeiert.
HELMUT HÖGE
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