Im Gebälk spukt der Zeitgeist

Mit einem satirischen ORB-Gewächs will die ARD an alte „ZAK“-Zeiten anknüpfen und jugendlichen Schwung in den verschnarchten Laden bringen („Polylux – Das Letzte im Ersten“, 0.00 Uhr, ARD)

von ARNO FRANK

Die ARD ist ein ehrenwertes Haus, ihr Chefredakteur ein beflissener Vermieter. Denn Hartmann von der Tann kennt seine Pappenheimer: „Unser Publikum zählt im Durchschnitt zur älteren Generation“, hadert der ARD-Chef und sinnt seit geraumer Zeit auf Abhilfe. Nun zieht eine Partei ins Dachgeschoss, die auch nach Mitternacht noch Krach schlägt, streitet, Musik macht und nächtens durchs Treppenhaus trampelt, um tanzen zu gehen: Es ist keine Geringere als die Erzherzogin von Österreich, Katharina Isabel Habsburg Lothringen mit ihrem semi-satirischen TV-Magazin „Polylux – Das Letzte im Ersten“.

Künftig soll die Hochadelige mit dem griffigeren Gebrauchsnamen Tita von Hardenberg jeweils montags ab 0.00 Uhr dem Zeitgeist nachspüren. Und damit den Privatsendern den einen oder anderen jugendlichen Zapper wegschnappen. Was klappen könnte: Ihre Produktionsfirma Kobalt liefert Beiträge für „Blitz“ (Sat.1), fertigt „Tracks“ für Arte, und das Flaggschiff „Polylux“, früher mal ein „Medienmagazin“, läuft seit drei Jahren erfolgreich und zur besten Sendezeit im Dritten Programm des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB). Dessen Intendant Hansjürgen Rosenbauer war – und das ist eine Seltenheit – auf das eigenwillige Magazin aufmerksam geworden und leistete Schützenhilfe beim Aufstieg vom ORB zur ARD, von der Regional- in die Bundesliga. Oder „vom Landeslandwirtschaftsministerium ins . . . Bundeslandwirtschaftsministerium? Gibt’s das?“, sinniert Carsten van Ryssen, bei „Polylux“ zuständig „fürs Grobe“, also randständigen und möglicherweise anstößigen Humor, vulgo Satire.

Vor den doppeltverglasten Fenstern der Redaktionsräume, im dritten Stock eines Altbaus am Alexanderplatz, gleiten lautlos ICEs und Güterzüge vorbei. Wohl fühlt sich hier das rund dreißigköpfige Team, so im Herzen der Hauptstadt, am so genannten Puls der so genannten Szene. Für die musikalische Untermalung eines Beitrags über sezierende Künstler ruft ein Redakteur nach „Prodigy. Oder Fat Boy Slim. Irgend welche Big Beats“. Ein unglaublich kleiner, erstaunlich hässlicher Hund schläft zusammengerollt auf dem Parkett. Leute kommen und gehen, Termine werden abgeglichen, Telefone klingeln. Alles sehr beschäftigt, alles sehr urban. Metropolitaner jedenfalls als draußen in Potsdam, wo demnächst aus einem großen virtuellen Studio gesendet wird. Was Tita von Hardenberg, die die Sendung „unter Live-Bedingungen“ moderieren wird, „schon ein bisschen nervös macht“.

Carsten van Ryssen beispielsweise braucht für seine gefürchteten Umfragen nur vor die Tür zu treten. „Was halten Sie davon, dass Dr. Helmut Kohl seine Tagebücher selbst gefälscht hat?“, fragt er dann. Und fast immer finden sich Passanten, die auf den Unsinn einsteigen, sich empören: „Das wird ja immer schlimmer.“ So wird die Erkenntnis hinter der Satire, dass Kohl seine Tagebücher ja wirklich selbst frisiert hat, auf eine Weise gewonnen, die Tita von Hardenberg gern als „skurril“ oder „bizarr“ bezeichnet. Aufklärung „über Bande“ gewissermaßen – eine Methode, vor der man sich beim staatstragenden Öffentlich-Rechtlichen ein bisschen fürchtet. Und umgekehrt.

Schließlich ist allen Beteiligten das traurige Beispiel von „ZAK“ noch in Erinnerung. Das politische Satiremagazin von Friedrich Küppersbusch war Anfang der Neunziger ebenfalls von einer Länderanstalt in die ARD aufgestiegen und hatte dort, mit schnellen Schnitten und unkonventioneller Dramaturgie, Maßstäbe für das Genre gesetzt – bevor Küppersbusch mit „Privatfernsehen“ partout höher hinaus wollte. Und sich damit nicht nur die Flügel, sondern eben auch das Format verbrannte.

Warum intelligente Satire ausgerechnet zu Zeiten von Comedy und Quiz wieder Konjunktur haben soll, das wissen auch die Macher von „Polylux“ nicht so genau. „Die Zeiten werden wieder politischer“, mutmaßt Tita von Hardenberg. „Nicht mehr so parteipolitisch“, ergänzt van Ryssen. Beide hoffen sie aber, dass dem Magazin seine „Unbefangenheit“ erhalten bleibe. Konkrete Quotenwünsche seitens der ARD gebe es keine, wohl aber die Vorgabe, „möglichst wenig zu glätten“. Und den Wunsch nach einer „steigenden Tendenz“.

Zumal das Unternehmen auch für den ORB ein Wagnis sein dürfte. „Polylux“, so hießen in der DDR die Overhead-Projektoren. Und es ist das erste Mal, dass die Ostdeutschen ein regionales Format auf die bundesweite Leinwand der ARD werfen. Ob sie damit reüssieren oder sich blamieren, hängt tatsächlich weniger von den Quoten ab. Eher schon vom Rundfunkrat, mit dem van Ryssen schon Bekanntschaft gemacht hat. Ein Beitrag über Graffitisprayer und öffentliche Vermüllung hatte zu Protesten geführt, aber keine weiteren Konsequenzen nach sich gezogen – außer der Lehre, dass „es ist nicht so einfach ist, den Apparat mit Skurrilem zu füllen“.

Obschon das Abseitige nur ein Bestandteil von „Polylux“ ist: Im Porträt werden Prominente „mal von einer anderen Seite beleuchtet“, popkulturelle Themen schnittig, aber seriös in Szene gesetzt – und in Reportagen darf durchaus investigativ etwa der Drogenverkauf auf Schulhöfen thematisiert werden. Die ideale Mischung also, es mit der direkten Konkurrenz aufzunehmen. Mit „Comedy und Newsmagazine bei den Privaten“ nämlich, weswegen Tita von Hardenberg auch mit dem späten Sendeplatz zufrieden ist: Spät genug, um dem ARD-Publikum „heiße Eisen“ zuzumuten. Und früh genug, jene Nachtschwärmer abzugreifen, die sich das „Polylux“-Team als Zielgruppe ausgeguckt hat: „Möglichst unter 40, mit Sinn für Bizarres und Power im Kopf und in den Beinen.“

Leute wie Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo also, dem heute Abend ein erstes Porträt gewidmet ist. Unter dem tatsächlich bizarren Titel „Deutschlands begehrtester Chefredakteur“.