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Das Nordlicht knirscht

Farben sehen oder hören? Lawrence Weiners Schriftarbeit im Kunstmuseum Wolfsburg funktioniert synästhetisch

Ob überhaupt und, wenn ja, was für ein Geräusch das Nordlicht von sich geben würde, war über Jahrhunderte viel diskutiertes Thema unter Naturforschern. Das eigentümlich knisternde Geräusch, das von Nordlichtbetrachtern gelegentlich vernommen wurde, verwarfen ihre Kollegen schließlich Anfang des 19. Jahrhunderts als Klang deren eigener Schritte auf knisterndem Schnee. Schließlich verstummte es völlig. Dem seither geräuschlosen Nordlicht versucht nun Lawrence Weiner in seiner neuen Arbeit „Bent & Broken Shafts of Light“ im Kunstmuseum Wolfsburg wieder etwas Klang zu geben. Farbklang.

Überall werden Farben anders wahrgenommen, scheinen anders. Im hohen Norden knallen die Farben derart intensiv, dass Besuche dort etwas von alten Technicolorfilmen bekommen. Die Toscana und der Süden lieben es dagegen, sich in zarten Aquarellfarben den Menschen zu zeigen. Das Polar- oder Nordlicht selbst ist eine nachts sichtbare Lichterscheinung des hohen Nordens, dessen Strukturen vornehmlich grün, rot und blauviolett erstrahlen und flackern.

Auf dieses Licht bezieht sich Weiner im Besonderen mit seiner Arbeit. Die großen Schriftzüge, die sich über die Wände der völlig leergeräumten Wolfsburger Kunsthalle erstrecken, erzeugen beim Betrachter nun eine eigentümlich erfrischende Leere. Als gebürtiger Wolfsburger kann ich das nur als zusätzliche Qualität der Arbeit begreifen. Der rotschriftigen Mitteilung, „seen as red“, mit der sich die Mehrheit des interessierten Publikums einverstanden erklären kann, folgt ein „& used as such“, was so viel wie „und als solches gebraucht“ heißt. Damit materialisieren sich die Schriftzüge sozusagen als Gesehenes, werden dingfest – zumindest in diesem Satz. Aber in welchem eigentlich? Nur Synästhetiker kommen in den Genuss, ihre Farbwahrnehmung zusätzlich noch mit Klang und Geräusch verbunden zu sehen. Voilà, da ist es dann auf jeden Fall – das Nordlichtgeräusch.

Die anderen Menschen müssen denken oder grübeln, Farbsehende wie auch Farbenblinde, wobei Letztere eine größere Distanz zu der Arbeit haben werden, was das Verständnis beziehungsweise einen Zugang aber durchaus auch erleichtern kann. Jenseits metaphysischer Gedankenspiele erfährt der Besucher jedenfalls durch das freundliche Ausstellungspersonal, dass diese Ausstellung die letzte vor dem lange geplanten Umbau des Halleninneren sei. Die Rigipsplatten, auf denen noch die Texte in fünf Farben prangen, werden dann durch Spanplatten ersetzt, Zwischenwände werden neu gezogen, ein neues innenarchitektonisches Konzept wird realisiert. Manchmal ist Konzeptkunst eine Kunst, die mit sehr praktischen Erwägungen verbunden werden kann.

WOLFGANG MÜLLER

Lawrence Weiner: „Bent & Broken Shafts of Light“, bis 18. 2., Kunstmuseum Wolfsburg. Der Katalog ist ein hübsches Kunstwerk mit 80 Seiten (deutsch/englisch) und kostet 98 DM.

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