„Bruce Lee war mein Gott“

Der Taiwanese Ang Lee dreht Filme über das ewige Gerangel der Generationen. Mit „Tiger and Dragon“ hat der Meister aller Genres jetzt einen Martial-Arts-Film hingelegt. Ein Gespräch über das imaginäre China, Familienrituale und schwache Väter

taz: In Ihren Filmen wird oft und ausufernd gegessen, es wimmelt nur so von Einladungen, Dinners und Banketten. In „Ride with the devil“ beginnt und endet sogar der amerikanische Sezessionskrieg mit einem Hochzeitsessen.

Ang Lee: (lacht) Ich mag Rituale.

Ob nun Jane Austens England in „Sinn und Sinnlichkeit“, die amerikanische Provinz der 70er in „Der Eissturm“ oder New Yorker Yuppies von heute – egal, mit welcher Kultur Sie sich gerade beschäftigen, diese Essensrituale wirken in Ihren Filmen wie anthropologische Konstanten.

Diese sozialen Kommentare, wie ich sie nennen würde, sind mein fortwährender Versuch, mich einem grundlegenden Widerspruch des Lebens zu nähern. Klar, das ist durchaus eine anthropologische Perspektive. Am Kino interessiert mich der Gegensatz zwischen familiärer Verpflichtung und dem Bestreben nach persönlicher Freiheit. Dieser Kampf ist ein sehr menschlicher, den wir letztlich alle ausfechten. Irgendwie will jeder alleine sein und gleichzeitig von den anderen aufgefangen werden. Man will mit den anderen leben und würde sie doch am liebsten umbringen. Auf Hochzeiten und bei Familiendinners überkreuzen sich diese beiden Impulse und ergeben ein Paradox.

Welchen Sinn sehen Sie in solchen Familienritualen?

Ich glaube, sie sind nur dazu da, die Sexualität zu verdrängen. Jede Familie verdankt ihren Ursprung dem Sex, aber die Elten sind außerstande, darüber offen zu reden. Also setzten sie symbolische Markierungen, feiern Hochzeiten und Initiationsriten, die, wenn man sie genau betrachtet, nur der Aufschub der unbequemen Kinder-Fragen sind.

Mit Ihrem Martial-Arts-Film „Tiger and Dragon“ wechseln Sie ein wenig das Thema ...

Die akrobatische Kampfkunst des klassischen Hongkong-Kinos ist aber im Grunde genauso ritualisiert. Man hat sich auf einen Code geeinigt, und das ist ein kulturelles Agreement. Betrachtet man allein die Oberfläche, dann sind diese Kämpfe absurd. Genauso absurd wie Hochzeiten, bei denen es eben nicht ums Heiraten, sondern um ein gesellschaftliches Statement geht. Über solche Rituale könnte ich ewig Witze reißen, denn sie haben ja auch etwas Albernes.

Ein anderes Leitmotiv Ihrer Filme ist das ewige Gerangel der Generationen. In „Tiger and Dragon“ geht es zum Beispiel um eine junge Chinesin aus der Oberschicht, die den festen Bahnen ihrer Erziehung entkommt, indem sie heimlich zur Schwertkämpferin wird.

Das erfahrene Kämpferpaar wird sozusagen zu den Adoptiveltern der Kleinen. Die zwei zeigen ihr den rechten Weg. Das ist im Grunde auch eine Form der Erziehung, bei der das junge Mädchen letztlich auch gezähmt wird. Diese Elternfiguren sind ganz anders als die Vaterfigur meiner ersten drei Filme (lacht). Da dachte ich noch an meinen eigenen Vater.

Sie haben selbst zwei Söhne, die in Amerika aufgewachsen sind und denen Sie die asiatische Kultur allein durch die Erziehung vermitteln mussten. Haben Sie sich manchmal wie die unverstandenen taiwanesischen Väter Ihrer frühen Filme gefühlt?

Ehrlich gesagt fühle ich mich eher wie Kevin Kline in „Der Eissturm“ – als Vater im heutigen Amerika. Ich wurde in den 60ern und 70ern von einem starken Vater erzogen, so wie Kevin Kline wahrscheinlich zwanzig Jahre zuvor. Und so wie dieser Mann versuche auch ich, zwei Jungs in Amerika einigermaßen vernünftig zu erziehen, auch wenn ich mich weniger geschickt anstelle als er. Ich bin nicht so reif, eher ein schwacher und dafür lustiger Vater. Aber es gibt eine Parallele zwischen mir und den Vaterfiguren der ersten drei Filme: Auch ich koche sehr gerne und drücke dabei meine Stimmungslage durch das jeweilige Gericht aus.

Was kochen Sie zum Beispiel, wenn Sie wütend sind?

Dann gibt es Fastfood.

Ihre Familie ist aus der Volksrepublik China geflohen, Sie selbst sind in Taiwan aufgewachsen. Als Sie das erste Mal nach China kamen, waren Sie enttäuscht, dass alles so modern war. Haben Sie in „Tiger and Dragon“ Ihr persönliches Märchenchina rekonstruiert?

Ich kannte China ausschließlich indirekt durch die Schilderungen meiner Eltern. Und natürlich durch Filme und Bücher. Ich habe nie meinen Fuß auf das chinesische Festland gesetzt, bis ich diesen Film gedreht habe. „Tiger and Dragon“ lässt ein imaginäres Land auferstehen, es ist wie ein Traum, vielleicht auch ein Traum, von dem ich mich befreien musste.

Vielleicht ist dieses fantastische China sogar der Traum aller Chinesen, auch der Festlandchinesen. Denn die Kulturrevolution und der Kommunismus haben einen Großteil der klassischen chinesischen Kultur hinweggefegt. Wer weiß, vielleicht wird „Tiger and Dragon“ mal zu einer Art chinesischem „Vom Winde verweht“.

Haben Sie die Martial-Arts-Filme schon als Kind gemocht?

Sie waren meine Welt. Als ich Ende der 70er in die Staaten zog, wohnte ich in der Nähe von Chinatown. Da sah ich jeden Hongkong-Film, der herauskam. Und natürlich war Bruce Lee mein Gott. Ich glaube, daher kam auch meine Sehnsucht, in „Ride with the devil“ und „Tiger and Dragon“ einmal selbst Kämpfe zu filmen.

Die Art, wie Sie zum Beispiel in ihrem Bürgerkriegsfilm „Ride with the devil“ den amerikanischen Sezessionskrieg filmen, ist der Ästhetik von, sagen wir mal, Mel Gibsons „Der Patriot“ diametral entgegengesetzt. Der Krieg ist bei Ihnen ein absurdes Chaos, bei dem die jungen Kerle töten, während zu Hause ihre Familien getötet werden.

Wie in Bosnien. Ich musste beim Drehen immer wieder daran denken. Auch an Vietnam. Mel Gibsons „Der Patriot“ ist für mich eine Geschichtsverfälschung, die mehr mit Hollywoods Unterhaltungstraditionen als mit Geschichte zu tun hat. Aber der Film hat ungefähr hundertmal so viel Geld eingespielt wie „Ride with the devil“ (lacht). Das mag auch daran liegen, dass der Sezessionskrieg ein gerne verdrängter Bruderkrieg war. Der Unabhängigkeitskrieg, den Gibson feiert, ist heute ein Identität stiftendes Ereignis, auf das sich jeder Amerikaner beziehen kann, eine uramerikanische Geschichte. Beim Sezessionskrieg liegen die Dinge komplizierter. Da ging es um Ideologien, um eine gewaltsame Bekehrung, um die Absolutsetzung der nordamerikanischen Gesellschaftsordnung, die danach nie mehr wirklich hinterfragt wurde. Für mich ist dieser Krieg der Beginn der Yankee-Invasion, mit ihren ganzen Konsequenzen bis hin zur Globalisierung des American Way of Life.

Als Gegenpol zur Geschichte und zur Zivilisation fungiert in Ihren Filmen die Landschaft. Sie hat immer wieder etwas Meditatives. In „Tiger and Dragon“ scheint die Kamera geradezu erleichtert, wenn Sie aus den altchinesischen Häusern und Palästen ausbrechen kann.

Die Landschaft vermittelt Distanz. Vor der Natur wirken die Menschen plötzlich ganz klein, das gefällt mir. Ich denke, es hat mit meiner Verbindung zur asiatischen Ästhetik zu tun. In der chinesischen bildenden Kunst werden die Menschen häufig klein vor der Landschaft dargestellt. Das ist auch eine Form von konfuzianischer Bescheidenheit. In der asiatischen Tradition spiegelt die Landschaft auch die Stimmungen der menschlichen Seele. Ich gehe nicht einfach in die Natur, um etwas zu filmen, was ich dann an die Zeitschrift National Geographic verkaufen könnte.

Zusammen mit „Sinn und Sinnlichkeit“ ist „Tiger and Dragon“ der Film, in dem Sie am eindeutigsten die Perspektive der weiblichen Heldinnen übernehmen.

Starke Frauen faszinieren mich, ich fühle mich mit ihnen verbunden, vielleicht weil ich kein Macho-Typ bin. Frauen, die ganz offensiv sexuell attraktiv sind, interessieren mich nicht so sehr, aber vielleicht werde ich mich irgendwann trauen, auch darüber einen Film zu drehen. Aber starke Frauen, die wie Michelle Yeoh in „Tiger and Dragon“ ihren Gefühlen folgen, berühren mich. Im Übrigen finde ich es viel aufschlussreicher, mit den Augen einer Frau auf eine patriarchalische Gesellschaft zu blicken.

Als Sie in die Staaten kamen und dort Film studierten, führten Sie jahrelang den Haushalt, während Ihre Frau arbeiten ging. Das ist für einen traditionell erzogenen Taiwanesen nicht gerade selbstverständlich.

Ich bin mit einer Frau verheiratet, die das Kochen hasst. So ist sie nun mal. Ich koche wie gesagt gerne. Damals hat sie als Mikrobiologin schnell einen Job gefunden und die Familie ernährt. In dieser Zeit habe ich alle Mahlzeiten zubereitet, mich um die Kinder gekümmert und zwischendurch studiert bzw. meine ersten beiden Drehbücher geschrieben. Dafür mache ich bis heute nie die Wäsche, das kann meine Frau nämlich besser. Sie ist dominanter als ich. Unsere Chemie funktioniert ganz wunderbar.

INTERVIEW: KATJA NICODEMUS