: Kleine Fehler im System
Sing, Maschine, sing! Die Londoner Elektro-Punk-Band Add N to (X) sucht die Seele von Computern. Ohne Sperrigkeit ist Wohlklang dabei nicht zu haben, und ins Experiment mischt sich Konservatismus
von THOMAS WINKLER
Böse Menschen, heißt es, haben keine Lieder. Auch Add N to (X) haben keine. Add N to (X) spielen auf ihren historischen Synthesizern Instrumentals. Die klingen manchmal zwar wie Lieder, vor allem auf ihrem dritten, überraschend poppig geratenen Album „Add Insult To Injury“. Aber immer verhindert etwas, dass Add N to (X) ein Lied machen, das tatsächlich ein Lied sein will.
Aber: Das Trio aus London funktioniert auch nicht wie der Elektronik-Act von nebenan. Keine Flächen, keine tief brummenden Frequenzen, auf keinen Fall die stampfenden Beats aus der gerade angesagten Software. Stattdessen: Eine unmissverständliche, durchaus aber auch unangenehme Sperrigkeit noch im Wohlklang. Ein vehementes Wehren dagegen, nur Hintergrundtapete zu sein. Das, und das ist das Erstaunliche an Add N to (X), schaffen sie allerdings, ohne einen dabei anzublöken, wie das die ideologisch verwandten Atari Teenage Riot tun (mit denen man auch freundschaftlich verbunden ist).
Ein leicht unsauber geschnittenes Sample, ein hakender Rhythmus, ein unpassendes Geräusch. Diese Musik ist immer ein kleiner Fehler im System, der die Wahrnehmung nur einen Hauch verschiebt und unmerklich irritiert. Manchmal klingen sie wie eine Horde Fußballfans, die Bier auf Synthies kippen. Manchmal schwelgen sie im Kitsch. Manchmal scheinen sie durch die Zeit hergereist aus den Eighties. Irritationen, Verschiebungen, darum geht es. Spätestens als Depeche Mode für „People Are People“ die Einstürzenden Neubauten sampelten, wurde Noise in der elektronischen Popmusik zum modischen Element mit Rhythmus-Aufgaben. Bei Add N to (X) ist Noise wieder Lärm, ist nicht integriert, sondern eine Differenz zu den piepsigen Melodien ihrer Synthies.
Trotzdem ist „Add Insult to Injury“ das Bemühen anzuhören, das Elektronik-Ghetto zu verlassen. Es ist die erste Platte von Steve Claydon, Ann Shenton und Barry Smith, auf der Stimmen eine tragende Rolle spielen. Wohlgemerkt: Stimmen, nicht Sänger. „Es geht um Fremdheit“, erläutert Steve Claydon. „Es gibt Balladen, richtige Songs, aber Computer singen sie. Wir haben dieses Computerprogramm Vocal Writer gefunden, das ungefähr zehn verschiedene Charaktere hat. Ich habe mir zwei davon ausgesucht.“ Auf dem Album ist also keine einzige menschliche Stimme zu hören? „Nein, alle sind vom Computer generiert. Man gibt den Text ein, die Töne, die Atmung, das Tremolo, selbst das Vibrato. Man hat also komplette Kontrolle. Gleichzeitig ist es aber sehr seltsam, wenn man diese seelenlose Unperson etwas singen lässt wie ‚fuck me‘ – sehr sexy, aber seelenlos. Irgendwie haben sie aber doch eine Seele, denn ein Computer versucht da sehr verzweifelt, eine menschliche Stimme zu imitieren. Und ist übrigens sehr erfolgreich damit. In England zumindest hat uns niemand gefragt, wer auf der Platte singt.“
Wo aber, fragt man sich da, ist der Sinn, eine Maschine zu benutzen, die singen kann, wenn es niemand mitkriegt. „Ich kann nicht singen, und Sänger sind sehr teuer“, erwidert Claydon grinsend. „Uns interessiert an Maschinen, wenn ihre spezifische Funktion umgestürzt wird, indem man einen quasi menschlichen Prozess zu imitieren versucht.“
Manchmal scheinen die Maschinen bei diesem Prozess „irgendeine Art von Seele zu finden“. Grundsätzlich aber glaubt auch Claydon nicht, dass Maschinen diese Seele haben. Das In-Frage-Stellen der Maschine hat eher praktische Gründe, weil solche alten Programme wie Vocal Writer oder die analogen Synthesizer, die Add N to (X) aus Prinzip benutzen, mehr Spielraum für Fehler lassen und gerade dann etwas Überraschendes ausspucken, wenn der Mensch einen Fehler begeht. „Wenn man in einen Computer etwas Falsches eingibt“, so Claydon, „reagieren die meisten mit einer Fehlermeldung. Analoge Synthesizer dagegen produzieren in diesem Fall meist etwas Interessantes, Fremdes. Sie sind zwar artifiziell, fühlen sich aber echt an.“
Der Fehler als Grundprinzip, das erinnert an Punk. So wie ein Großteil der Punkrocker der End-70er wurden auch die Drei von Add N To (X) durch Kunsthochschulen geschleust und verstehen ihre Musik seit ihrer Gründung 1996 auch als Antireaktionen auf die dort stattfindende Elitenbildung. So wie die Punks die Gitarre, eigneten sich Claydon, Smith und Shenton, von denen keiner jemals ein Instrument erlernte, autodidaktisch und experimentell den Synthie an. „Ich hatte nie Angst vor Technik“, erzählt Claydon, „man muss einfach machen und sehen, was rauskommt. Das ist ein politisches Statement, das ist Punk.“
Ironischerweise ist diese bewusste Rückkehr zu einer an sich überholten Technik zwar Punk, aber eben auch konservativ. In den Händen von Add N To (X) wird der Synthesizer zum klassischen Instrument und, seit man sich 1996 in London gründete, arbeitet man denn auch nicht wie viele Electro-Acts, die nur mehr DAT-Tapes hin- und herschicken, sondern wie eine Band: Man setzt sich mit Gast-Drummer und -Bassist in den Übungsraum und erarbeitet Arrangements. Auf der Bühne ein unschätzbarer Vorsprung im Vergleich zu anderen Elektronikern, die das Prinzip Band meist erst kurz vor der Tournee zwangsweise entdecken müssen und dann Probleme haben, ihre im Kämmerlein konstruierten Tracks für eine Live-Situation umzusetzen.
Doch auch hier enden die Verschiebungen noch nicht. Aufregung löste ihr Video zu „Plug Me In“ aus – einer Ballade, die sich in die Perspektive eines Sexspielzeugs begibt. Mit professionellen Sexarbeiterinnen entstand ein Lesbenporno, den man, so man volljährig ist, über die Website der Band bestellen kann, dessen entschärfte, aber immer noch recht eindeutige Version im Musikfernsehen zu recht kinderfreundlichen Sendezeiten läuft.
Ist das jetzt Kunst, ist es Subversion oder nur platte Provokation? Auch wenn Add N to (X) gerne und viel sprechen, ist ihre Beredsamkeit doch mitunter eher verschleiernd als klärend, stehen schlussendlich Musik und Bild für sich selbst, als Angebot, als Rohstoff. So bleibt ihre Musik – trotz und gerade wegen der Computerstimmen – Instrumentalmusik. Auch wenn in klassischen Songmodellen zwar mitunter das sperrige Künstlerego eine endgültige Interpretation standhaft verweigert, werden doch immer Heerscharen von Dylanologen auf der Suche nach etwas bleiben, was sie dann Intention oder gar Wahrheit nennen können. Bei Add N to (X) wird so etwas schon strukturell verhindert: Spekulationen laufen ins Leere, wenn die Urheber der Musik sich selbst Intentionen absprechen, die über den anarchischen Gebrauch der Technik hinausgehen. So wird die Musik immerhin ehrlich – nämlich zur Hintergrundfolie für Assoziationen. Sie setzt im besten Falle etwas in Gang im Zuhörer, das weit mehr anrichten kann, als man von ein paar Synthesizern vom Schrottplatz eigentlich erwarten dürfte.
Add N To (X): „Add Insult To Injury“ (Mute/PIAS); Tour: 15. 1. Köln, 16. 1. Hamburg, 17. 1. Dresden, 18. 1. Karlsruhe, 19. 1. München
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