Stetiges Großkaliber

■ Glitch as glitch can: Lesser und „Matmos“ spielen im Pudel Klub

Nett ist das nicht. Jedes Mal, wenn es gerade so richtig losgeht, wenn man meint, etwas entdeckt zu haben, das es sich zu verfolgen lohnt, ist es auch schon wieder vorbei. Wenn sich etwas aus dem wüs-ten Lärm herausschält, kommt garantiert ein großes Etwas und fällt um – auf das Kleinteilige, das gerade noch so nett um Gehör bat und jetzt keinen Pieps mehr von sich gibt. Während die meisten Musiker im Marktsegment der Electronica sich mit der Manipulation von Miniatursounds und -strukturen aufhalten, fährt der Kalifornier Lesser nur die schwer handhabbaren Geschütze auf: Unter Großkaliber geht da gar nichts.

Wenn es richtig ist, dass sich in elektronischer Musik oft auch eine Punk-Ästhetik widerspiegelt, dann spielt Jay Lesser zusammen mit seinem Kumpanen Kid 606 darin den Hardcore-Bösewicht: Sein ers-tes Tape hieß I hate me, war bepackt mit einer Rasierklinge und vier LSD-Pillen. Wie Subtilität eh das Letzte ist, was man dem Musiker vorwerfen kann – Titel wie One Ambient Motherfucker und Markus Popp Can Kiss My Redneck Ass sprechen eine eindeutige Sprache. Wie er überhaupt den ganzen Knöpfchendrehern und Programmierfetischisten vom Schlage eines Markus Popp (Oval) eine eindeutig zu lang andauernde anale Phase unterstellt. Eine Behauptung, über die einige Elektronik-Musiker und -Hörer gerne auch mal einen Moment nachdenken dürfen.

Dabei ist es nicht so, dass Lesser die DSP-Klaviatur (Digital Sound Processing) nicht beherrschte. Stücke wie Voice O'Reason von seinem Album Gearhound, das in der nächsten Woche veröffentlicht wird, spielen mühelos in der oberen Liga mit. Wenn dann allerdings gleich ein Track mit dem Titel Obligatory Glitch Worship folgt, wird vielen wahrscheinlich die Milch sauer. Lesser zieht inzwischen weiter, plant mit Kid 606, der das „nette“ Tigerbeat-Label betreibt, die Band The Sex Pixels – Jay Rotten and Kid Vicious – und will unter diesem Namen die Platte Never Mind the Bitmaps herausbringen.

Über diese Art Humor können auch Drew Daniel and M.C. Schmidt von Matmos lachen, die von Lesser bei Auftritten unterstützt werden. Dabei geht ihre Musik erst einmal in eine komplett andere Richtung. Ausgehend von manchmal nur einem Geräusch, bauen sie darum ganze Stücke, die dieses Geräusch bis zur Unkenntlichkeit verfremden und seine Struktur bloßlegen. Diese Mikro-Hörstücke werden wieder und wieder neu arrangiert, bis sich eine neue Makro-Struktur ergibt. Und darin dann ganz plötzlich: Melodien. Diese Fähigkeit nutzte selbst Björk für einen Remix ihres Stücks „Alarm Call“. Matmos zusammen mit Lesser an einem Abend, der Mann mit dem Bumms und die Mikrobiologen – das verspricht eine interessante Veranstaltung zu werden: Glitch as glitch can.

Klaus Smit

Sonntag, 22 Uhr, Pudel Klub