piwik no script img

Für ein paar Filter mehr

Links zwischen Datenverarbeitung und Drone, zwischen Sinn und Sinnlichkeit: Der zum zweiten Mal im Podewil ausgerichtete „Klangkrieg“ vermisst die Schnittstellen von Konzert, Club und Party. Dabei geht es vor allem um das Durcheinanderwirbeln von Wahrnehmungsmustern

von ULF IMWEHE

LiebhaberInnen elektronischer Musik dürfen beruhigt sein. Trotz des martialischen Namens ist ein Sperrfeuer elektroakustischer Splittergranaten beim zweiten Klangkrieg-Festival im Podewil nicht zu befürchten. Alles, was an diesen vier Abenden angegriffen wird, sind Hörgewohnheiten. Gängige Instrumentarien und Strukturen als wesentliches Element eher unaufdringlicher Musik sollen zugunsten experimenteller Ausgeburten von Sequencer-Software und voll ausgereizter Sample-Editoren außen vor bleiben.

Die Veranstalter haben sich die Vermessung der Schnittstellen von Konzert, Club, Party und Wahrnehmungsmustern zum Ziel gesetzt und vereinen hierzu unter wechselnden Mottos KünstlerInnen, die sich dieser vage formulierten Aufgabe in ihren eigenen, meist intermedialen Arbeiten stellen und nun in Livesituationen ihre Erkenntnisse mitteilen. Dabei durchmischen oder restrukturieren sie je nach Ansatz eher klangmalerisch-assoziativ oder als Assembler immer winzigere Sound-Bits. So widmet man sich zum Beispiel der kompositorischen Umsetzung von Architektur. Da werden Räume klanglich durchschritten und nachgezeichnet und wird ihr Charakter modelliert – eine gesampelte Treppenflucht, eine Konstruktionszeichnung, zu Sound konvertiert, im Fall des einstigen DarkStep-Hools Panacea gar eine ganze Stadt: Brasilia.

Das klingt erst mal mehr nach synästhetischem Kraftakt denn nach Party – und tatsächlich mag man bei einem Blick auf die Arbeiten einiger vertretener Acts befürchten, es mit dem Informatikäquivalent zu Prog-Rock und dessen verruchten Konzeptalben zu tun zu haben, einem Virtuositäts-Showcase längst vergessener Gitarrenhelden-Zeiten.

Dazu zählen etwa Jay Lesser aus den USA oder das Wiener Kollektiv Epy. Diese eher der Abstraktion verpflichteten MusikerInnen verfolgen einen Ansatz der Fragmentarisierung, einer Zerlegung audiovisueller Daten in kleinste Partikel und der Neuorganisation so gewonnener Bausteine mittels Improvisation und Modulation.

Ein Gestus, der aber auch an Free Jazz erinnert, noch besser aber an Bands wie die Flying Luttenbachers oder Idiot Flesh. Wie diese beiden Bands weisen tatsächlich gerade aus dem Lager der eher dekonstruktivistisch orientierten Acts erstaunlich viele Künstler eine Punkrock-Sozialisation auf – eine Vergangenheit, die sich als verborgene, destruktive Energie auch heute noch bei den meisten bemerkbar macht. Prominentestes Beispiel ist hier wohl Mick Harris, ehemals Drummer der britischen Grindcore-Band Napalm Death und jetzt als Scorn der radikalen Reduktion von HipHop verpflichtet. Bei einer derart nerdigen Konstellation fragt sich, ob die Avantgarde auf der Bühne den euphorisierenden Funken überspringen lässt oder doch lieber autistisch noch ein paar Filter mehr durchrechnet. Denn ob intuitiv manipulierte Software oder Konkretisierung von Impressionen – am Ende einer langen Nacht stehen bei allen Acts wohl doch noch der Mensch und sein Erleben und Empfinden in einer konstruierten, mal belebten, mal unbelebten Umwelt im Mittelpunkt.

So mag der mathematisch stolpernde HipHop des Anti Pop Consortiums als Exempel dieses Links zwischen Datenverarbeitung, Drone und Sinnlichkeit dienen. Jede Menge Zahlen und Physik. Die Geschichte dahinter aber erzählt von Menschen.

Mal sehen, was bleibt: Anspruch oder vielleicht sogar Party? Beides – oder etwa doch im wahrsten Sinn des Wortes Klangkriegsversehrte?

Mo., 15. 1.: Anti Pop Consortium, Scorn, slow trappers & mc wuzi khan; Mi., 17. 1.: Matmos, Lesser, Safety Scissors; Mo., 22. 1.: Panacea, Taylor Deupree, Kid 606, Sa., 27. 1.: Si-{cut}.db, BitTonic, Hallucinator, Epy, μ-ziq, jeweils 21 Uhr, Podewil, Klosterstr. 68, Mitte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen