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Nominierte 2005: Ilse Engmann Urlaub vom verstrahlten Alltag

Ilse Engmann organisiert Ferien für weißrussische Kinder.

Bild: Andrea Baumgartl

Das Bild, das Ilse Engmann auf ihren Wohnzimmertisch legt, ist zweigeteilt: Auf der einen Seite sieht man einen Spielplatz in bunten Farben im Sonnenschein. Auf der anderen Seite hat ein weißrussisches Mädchen das gleiche Motiv gemalt – allerdings in Grau, mit bedrohlicher Regenwolke. Es ist ihre Umgebung vor und nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl. „Und hier hat ein Junge die verbotene Zone um den Reaktor dargestellt“, sagt die 60-Jährige und zeigt weitere Bilder.

Sie alle stammen von Kindern, die in der Nähe von Tschernobyl leben, in einem nach wie vor mit Radioaktivität belasteten Gebiet. Ilse Engmann sorgt dafür, dass jedes Jahr in den Sommerferien rund 40 Kinder aus dieser Region nach Deutschland reisen können. „Die Eltern der Kinder können sich in der Regel keinen Urlaub leisten“, sagt Engmann, die 1995 den Verein „Raduga – Tschernobyl-Hilfe“ mitgegründet hat. „Raduga bedeutet Regenbogen auf Russisch“, erklärt sie und zeigt Fotos von Kindern, die in Mosyr leben, 70 Kilometer von Tschernobyl entfernt.

„Viele leiden unter Mangelernährung, sie haben Probleme mit der Schilddrüse und ein schwaches Immunsystem.“ Zum zehnten Mal konnten in diesem Juni und Juli 10- bis 18-Jährige vier Wochen in Gelsenkirchen und an der holländischen Nordsee verbringen. Untergebracht werden die Kinder und Jugendlichen jedes Jahr bei Gastfamilien, die Kosten für die Reise sowie zahlreiche Veranstaltungen trägt der Verein. „Wir finanzieren diesen Aufenthalt ausschließlich mit Spenden“, erklärt Ilse Engmann.

Sie ist die Vorsitzende des Vereins und diejenige, die sich um alles kümmert. Sie reist nach Mosyr und knüpft Kontakte mit Schulen, sie spricht Gasteltern an, sie organisiert den Aufenthalt samt Freizeit-veranstaltungen, sie schreibt Briefe, in denen sie um Geldspenden bittet, sie sorgt dafür, dass sich die Kleiderkammer füllt, damit die Kinder Sachen zum Anziehen mit nach Hause nehmen können. „Manchmal bin ich müde und würde den Vorsitz gerne abgeben“, sagt sie. „Aber diese Arbeit will niemand machen.“ 

Wenigstens einmal im Jahr ihrem Alltag entkommen

Und einfach aufhören kann Ilse Engmann nicht. „Ich muss den Kindern helfen“, erklärt sie ganz selbstverständlich. „Sie können hier bei uns ihr Immunsystem stärken und wenigstens einmal im Jahr ihrem Alltag entkommen.“ Im vergangenen November allerdings wollte Präsident Alexander Lukaschenko die Ferienfahrten verbieten. „Die Kinder sollten nicht mehr nach Deutschland reisen, weil wir sie ihrer weißrussischen Mentalität berauben würden.“

„Zum Glück hat sich Lukaschenko schließlich dem Druck großer Hilfsorganisationen gebeugt“, sagt Ilse Engmann und holt eine Karte Weißrusslands hervor, auf der die Strahlenbelastungen eingezeichnet sind. „Mein Vater war Physiker und hat immer gesagt, Atomkraft sei das Beste und Sauberste, was es gibt“, erinnert sie sich. „Die Tatsache, dass er sich geirrt hat, ist vielleicht für mich eine zusätzliche Motivation, den Kindern zu helfen.“

Jutta Heeß