: „Zieh um Himmels willen dein Hemd aus“
Der aus Rumänien stammende Tennisspieler Andrew Ilie gibt mit viel Herz den Local Hero bei den Australian Open
MELBOURNE taz ■ An den Eingängen standen die Leute Schlange, und immer wieder fragte irgendwer von hinten: Wie steht’s? So ist das jedes Mal in Melbourne, wenn Andrew Ilie spielt, der die Rolle des local hero mit Herz und Leidenschaft gibt. Ilies buntem Treiben zuzusehen ist eine Frage reiner Vergnügungssucht, doch diesmal ging das Interesse der Fans darüber hinaus. Denn er spielte gegen jenen Mann, der die Australier im Finale des Davis Cups vor sechs Wochen in Barcelona fertiggemacht hatte, den Spanier Juan-Carlos Ferrero.
Andrew Ilie (24) schaffte, was Patrick Rafter und Lleyton Hewitt in Barcelona vergeblich versucht hatten: Er besiegte den zähen Ferrero in fünf Sätzen. Hinterher warteten alle auf einen mittlerweile legendären Akt, und als es so aussah, als bleibe ihnen der Triumphator an diesem Tag was schuldig, da riefen sie: „Zieh um Himmels willen endlich dein Hemd aus.“ Er tat wie befohlen; mit beiden Händen riss er das Hemd wie gewohnt in Brusthöhe auf, zog es aus, knüllte es zusammen und schleuderte es ins Publikum.
Ilie weiß, dass die Leute verrückt nach ihm sind, und darauf ist er stolz. Geboren wurde er in Bukarest und kam mit den Eltern als Einwanderer nach Australien. Die Geschichte ist jener der Familie Dokic recht ähnlich; auch in Andrew Ilies Karriere gab es eine Zeit, in der er das Gefühl hatte, er sei in diesem Land nicht im gleichen Maße willkommen wie gebürtige Australier. Für eine Weile ging er zurück nach Europa, kam jedoch wieder.
Seitdem hat er sich nie über dieses Land beschwert, und wenn er in Melbourne gewinnt, lässt er keine Gelegenheit aus, sich demonstrativ mit der australischen Flagge zu zeigen. Nie käme er auf die Idee, so etwas zu behaupten wie der allseits verachtete Damir Dokic, der die Australier als Rassisten beschimpft und fragt: „Was soll man erwarten in einem Land, das von Sträflingen und Prostituierten gegründet wurde?“
Im Gegensatz zu Lleyton Hewitt, dessen Erfolge zwar gefeiert werden, dessen aggressives Verhalten auf dem Platz aber viele abstoßend finden, ist Ilie der Mann fürs Gemüt. Das hört er zwar gern, aber noch lieber wäre es ihm, könnte er sich und die Leute mit einem großen Sieg verwöhnen. Kaum auszudenken, wie das wäre, gewänne dieser Mann als erster Australier nach 25 Jahren wieder den Titel bei den Australian Open. Aber so weit wird es kaum kommen. Die Hemden zerreißt er wie kein Zweiter, und von Zeit zu Zeit schlägt er total verrückte Bälle, aber das ist wohl nicht genug.
DORIS HENKEL
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