: Tanz der Freiheit
Mousbah Baalbaki tritt im Beiruter Nachtklub „Amor y Libertad“ als Bauchtänzer auf. In einem vorwiegend islamischen Land wie dem Libanon, in dem die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität gegen null geht, ist das noch immer ein Tabu
von CHRISTINA FÖRCH
Auf der Bühne des Beiruter Nachtklubs „Amor y Libertad“ steht ein schrill gekleideter Mann. Zu arabischer Musik wackelt er mit dem Po, schüttelt seine Schultern, seine Hände fliegen wild durch die Luft. Jedes Wochenende ist diese Disko brechend voll, denn dort tritt Freitag- und Samstagnacht der schwule Bauchtänzer Mousbah Baalbaki auf – ein absolutes Kuriosum für die meisten oft muslimisch geprägten Jugendlichen.
„Amor y Libertad“ – „Liebe und Freiheit“ ist nicht gleich freie Liebe, sondern war der Slogan von Che Guevara. Dessen Foto hängt an den Wänden des Klubs. Aus den Boxen dröhnt kubanische Salsa, spanische Gipsymusik oder auch mal etwas Arabisches. Aber wenn Mousbah auf die Bühne kommt, dann hat das etwas ganz Besonderes. Einen Hauch von Toleranz und Exotik. Und von „freier“ Liebe eben – zum Beispiel für die Schwulen.
„Ich bin zwar schwul, alle wissen, dass ich schwul bin, und ich stehe ja auch zu meinem Schwulsein. Aber ich darf dir das nicht in einem Interview erzählen, sonst ist mein Ruf dahin“, sagt Mousbah in einem etwas stakkatohaften Englisch. Braungebrannt und muskulös sitzt er im Backstagebereich in seinem Sessel. „Ich habe schon genug damit zu kämpfen, dass ich als männlicher Bauchtänzer auf der Bühne stehe. Ich kann mich nicht auch noch für die Schwulen aufreiben, das ist einfach zu viel für mich.“
Liebe und Freiheit, das ist nicht einfach für einen Homosexuellen in einem vorwiegend islamischen Land, auch wenn sich der Libanon nach außen hin gern als liberal, multikonfessionell und weltoffen darstellt. Die Schwulen werden zwar stillschweigend geduldet, aber wenn ein männliches Paar Händchen haltend auf der Strandstraße entlangschlendert, drehen sich alle Passanten nach ihnen um und machen Witze. Als „öffentliches Ärgernis“ könnten die beiden schlimmstenfalls im Knast landen. Das ist, sagen die meisten Homosexuellen, noch nie passiert. Theoretisch könnte es aber so sein, und deshalb will sich Mousbah dazu nicht öffentlich äußern.
Da steht er lieber auf der Bühne, denn das Showbusiness gibt ihm eine zumindest eine gewisse Freiheit, eine Narrenfreiheit. Schon als Kind, sagt Mousbah, habe ihn der Bauchtanz fasziniert. „Das ist einfach so ein Gefühl von innen heraus, und dieses Gefühl wollte ich dem Publikum mitteilen.“ Tanzunterricht hat er nie gehabt. Er lässt sich von der Musik inspirieren, besonders von dem typisch arabischen Rhythmus der Tabla, einer kleinen Trommel, die zwischen Knie und Arm geklemmt wird.
1998 fing Mousbah an, öffentlich als männlicher Bauchtänzer aufzutreten. Seitdem ist das Wackeln mit dem Po für ihn eine Kunst. Am Anfang war die aber ein absolutes Tabu. Die erste Reaktion des Publikums: Sie haben ihn ausgelacht. Aber schließlich wollten sie ihn sehen. Auch am heutigen Abend ist es so.
Als Mousbah endlich auftritt, kommt Stimmung auf im „Amor y Libertad“. Die Leute rennen zur Tanzfläche, machen mit, schauen ihn an, teils belustigt, teils bewundernd. Immerhin, gestehen die Zuschauer ein, gehört in ihrem Land eine große Portion Mut dazu, sich als männlicher Bauchtänzer zu präsentieren. Als Mousbah sein Hemd aufknöpft, johlt die Menge. „Ich glaube“, sagt er später, „dass ein Mann genauso verführerisch sein kann wie eine Frau, er kann seinen Körper genauso vibrieren lassen. Ich will zwar nicht meine weiblichen Kolleginnen imitieren. Schließlich bin ich noch immer ein Mann. Doch verführen können Männer auch.“
Er versucht es zumindest. Seine knallgelbe, eng anliegende Hose, sein schreiend buntes Hemd lassen einen durchtrainierten Körper erahnen. Oft benutzt er transparente Stoffe. Exotisch, extravagant und bunt müssen sie sein. Entworfen hat er seine Kostüme selbst. Und seinen Tanzstil auch. Es ist eine Mischung aus orientalischem Bauchtanz und westlichem Techno.
Mit seiner Verführungskunst hat Mousbah beim Publikum von „Amor y Libertad“ nicht viel Erfolg. Aber darum geht es ihm nicht allein. „Ich möchte die Leute provozieren, aber nicht in einer vulgären Weise“, sagt er. „Deshalb zeige ich meinen Bauch nicht. Ich will nur durch meinen Tanz provokativ sein.“
Und damit hat er Erfolg. Im ganzen Libanon ist er bekannt, zumindest bei der Partyjugend. Sein Traum ist nun, nach Europa zu gehen, „am besten nach Paris oder London. Auf dem Christopher Street Day war ich auch schon. Glaubst du, die Leute in Europa mögen einen männlichen Bauchtänzer?“, fragt Mousbah. Vorerst muss er sich mit dem Tingeln durch libanesische Klubs begnügen. Er hofft darauf, dass er nach einer Europatour im Libanon nicht mehr belächelt wird, sondern als Künstler Anerkennung findet. Und eben nur als Künstler, ohne das Attribut „schwul“. Leider werde es im Libanon noch lange keinen Christopher Street Day geben, sagt Mousbah, und bis dahin laufe die Akzeptanz der Homosexuellen in dieser konservativen Gesellschaft gegen null.
Die Homosexuellen begegnen sich also nach wie vor in ihren Klubs, zum Beispiel im „Acid“. Da geht es dann auch ziemlich wild her, das „Amor y Libertad“ ist ein Hausfrauenladen im Vergleich dazu. Doch in die Öffentlichkeit trauen sie sich nicht. Noch nicht. Sex findet hinter geschlossenen Schlafzimmertüren statt, öffentlich geküsst werden darf nur im „Acid“. Ein paar Heteros kommen auch ab und zu in den Klub, um bei Technomusik abzutanzen. „Ich war gerade eine ganze Woche im Südlibanon, wir haben da fürs Fernsehen gedreht“, berichtet ein Besucher. „Es ist echt unglaublich: Im Süden tragen alle Frauen Kopftuch, und die Männer gehen jeden Freitag in die Moschee – total konservativ ist es da. Dann kommt man in so einen Klub, wo die Schwulen knutschen – schon ein krasser Gegensatz! Und dabei sind wir noch immer im gleichen Land!“, meint der Besucher, er ist Kameramann. Eigentlich seien die Schwulen okay, aber irgendwie auch krank. Etwas Natürliches sei Homosexualität auf keinen Fall, behauptet er.
Mit dieser Meinung steht der Fernsehmacher nicht allein da, sondern er repräsentiert die Mehrheit der libanesischen Bevölkerung. Die Ablehnung gegenüber dem Schwulsein hat ihre Wurzeln auch im Koran. Da steht geschrieben, dass Homosexualität eine Sünde sei. Wozu hat Gott Mann und Frau geschaffen, wenn es nachher nur die Männer miteinander treiben, fragen sich gläubige Muslims. Dazu kommt, dass die Familie im Islam fast etwas Heiliges ist. Die Zeugung von möglichst vielen Nachkommen dient der Verbreitung des muslimischen Glaubens und hat daher in orientalischen Gesellschaften höchste Priorität. In solch ein Weltbild passen Schwule einfach nicht hinein.
Mousbah geht grundsätzlich nicht ins „Acid“. „Nein, wirklich nicht. Überhaupt habe ich nur heterosexuelle Freunde.“ Hektisch fächelt er sich Luft zu nach seinem Auftritt. „Eigentlich kann ich dir gar nichts über die Schwulenszene in Beirut erzählen“, meint er. „Es gibt sowieso viel zu viele Gerüchte um mich“, sagt er und verschwindet hinter die Bühne, dorthin, wo sein Freund auf ihn wartet. „Wen interessiert es schon, ob ich schwul, bi oder hetero bin? Ich will einfach nur als Künstler akzeptiert werden, das ist alles“, resümiert er und wischt sich den violetten Lidschatten vom Auge.
Vielleicht wird der Libanon in Zukunft ja tatsächlich so weltoffen, wie das Land sich gern präsentiert – dann würde es auch einem Homosexuellen wie Mousbah nicht mehr schwer fallen, öffentlich zu seiner sexuellen Orientierung zu stehen.
CHRISTINA FÖRCH, 31, freie Journalistin, lebt seit Juni vorigen Jahres im Libanon
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