: Wider den blauen Dunst
Damit Neujahrsvorsätze wahr werden: Pharmaindustrie und Naturheilkundler wollen künftigen Nichtrauchern den Weg ebnen ■ Von Benjamin Butschle
Diese Frau hat's geschafft: „Ich vermisse nichts!“ versichert sie auf Plakaten, mit denen derzeit ein Pharmakonzern zum Nichtrauchen animieren will. Wirklich nichts? Viele Raucher, die sich auch diesmal wieder zum Jahreswechsel geschworen haben, künftig von der Zigarette zu lassen, vermissen doch etwas: das Nikotin, nach dem der Körper süchtig ist, und die gewohnten Rituale, die mit dem Rauchen verbunden sind.
Pflaster und Kaugummis sollen helfen, den Suchtkreislauf zu durchbrechen. Sie liefern dem Körper weiterhin Nikotin, das dem Gehirn suggeriert, vermehrt die Botenstoffe Dopamin und Noradrelin auszuschütten. Das Dopamin löst Wohlgefühl aus und bewirkt den „Genuss“ beim Rauchen, das Noradrelin hat eine stimulierende Wirkung und steigert die Konzentration. Verringert sich die Nikotinzufuhr, sinkt der Dopamin- und Noradrelinspiegel: Entzugserscheinungen wie Reizbarkeit und Unruhe, Frustration oder Aggressivität sind häufig die Folge. Die Pflaster und Kaugummis sind unterschiedlich stark dosiert, die schrittweise Entwöhnung soll schließlich dazu führen, dass sie ganz abgesetzt werden können.
Allerdings: Für Raucher sei es oft schwerer, ihr Verhalten umzustellen, als die Nikotinsucht zu überwinden, sagt die Hamburger Ärztin Michaela Abromeit. Neben der körperlichen gebe es auch eine psychische Abängigkeit, „der reine Nikotinentzug dauert nur 48 Stunden“. Für Kettenraucher könne es aber dennoch sinnvoll sein, mit Hilfe von Nikotinersatzstoffen die Entzugserscheinungen zu lindern.
Anders als die Nikotinersatzpräparate wirkt die „Pille gegen das Rauchen“, die seit Mitte vergangenen Jahres in Deutschland auf dem Markt ist. Die Pille, eigentlich ein Antidepressivum und deshalb verschreibungspflichtig, gibt kein Nikotin an den Körper ab, sondern wirkt direkt auf den Dopamin- und Noradrenalinhaushalt. Laut Hersteller hält das Präparat die Zufuhr der Botenstoffe gleichmäßig auf einem leicht erhöhten Level, so dass keine neue Abhängigkeit entstehen kann.
Im Prinzip, sagt Abromeit, würden mit der Pille ebenfalls nur die Entzugserscheinungen unterdrückt. Und auch Raphael Gaßmann von der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren e. V. (DHS), findet die Vorstellung: „ich werf mal 'ne Pille ein, und dann ist alles gut“, problematisch. Das wünschten sich vielleicht die Hersteller, denn das sei ein „gigantischer Markt“, aber: „Einen Königsweg gibt es nicht.“ Jeder Raucher müsse hinsichtlich der Entwöhnungsmethode individuell beraten werden.
In Hamburg, so die Erkenntnis des Statistischen Landesamts vom Oktober, raucht fast jeder zweite Mann im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, bei den Frauen in dieser Altersgruppe ist es ein gutes Drittel. Doch die Nikotinsucht werde von Medizinern erst allmählich ernst genommen, weiß Abromeit. Knut-Olaf Haustein, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Nikotinforschung e. V. (DGNF), hat es sich zum Ziel gesetzt, das Informationsdefizit bei Medizinern abzubauen. Haustein sieht in den Nikotinersatzpräparaten die derzeit verlässlichsten Mittel zur Raucherentwöhnung – die allerdings nicht von der Kasse bezahlt werden. „Obskur“ findet er dagegen Verfahren wie Akupunktur oder Hypnose. Eine Nadel im Ohr gegen den blauen Dunst? „Da könnte man sich auch einen Ziegelstein auf den Fuß legen“, meint Haustein.
Das sieht Bernd Steffen von der Heilpraktiker Fachschule Arcana erwartungsgemäß anders. Aus naturheilkundlicher Sicht spreche zwar grundsätzlich nichts gegen den Einsatz von Nikotinersatzpräparaten. Ein anderes Problem sei aber die orale Gewöhnung, und der könne mit Akupunktur erfolgreich begegnet werden. Für die, die es gar nicht lassen können, empfielt Steffen Lollies und Süßholz zum Draufrumkauen.
Ob Nadeln oder Pflaster, Pille oder Kaugummi – in einem Punkt sind sich alle Experten einig: Der Wille muss da sein. Denn wie sagte, sinngemäß, schon Mark Twain? „Mit dem Rauchen aufzuhören ist ganz einfach. Ich habe es schon tausendmal getan.“
Hamburger Landesstelle gegen die Suchtgefahren, Brennerstraße 90, 20099 Hamburg, Tel.: 040/284 99 18-0, www.suchthh.de
DGNF, Johannesstraße 85-87, 99084 Erfurt, Tel.: 0361/64 50 80, www.gdnf.de
Heilpraktiker-Fachschule Arcana, Conventstraße 14, 22089 Hamburg, Tel.: 040/251 21 51
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