piwik no script img

Die 170.000-Dollar-Menschen

■ Nachdem der Bremer Filmpreis dem Leuchten des Idependent-Stars Swinton ein paar Watt zugeschossen hat, untersuchte im Kino 46 ein Symposium die seltsamen Gesetze vom Blinkens der Sterne

Früher einmal widmeten sich Filmseminare so delikaten Themen wie „Das Mysterium der Farbe Lila im homosexuellen New Yorker Undergroundfilm“ oder „Die Rolle des Schornsteins im kaukasischen Film der frühen 20er“. Und wahrlich gab es gute Gründe für solch hymnisches Feiern des Spezialis-tentums. Erstens hielt man damit banausiges Publikum mitsamt seinen profanen Bemerkungen und Fußgeruch fern. Zweitens lernte die auserkorene Schar der Filmgourmets unbekannte cineastische Preziosen von göttlicher Schönheit kennen. Und drittens ist das Flanieren durch Randbezirke allemal spannender als die Begehung von touristisch überlaufenen Zentren – das gilt für Fachgebiete nicht weniger als für Städte.

In Randlagen aber fühlen wir armseligen Menschenkinder uns rasch einsam. Um endlich auch in der wohligen Mitte der Gesellschaft anzukommen (die wegen Überfüllung eigentlich längst geschlossen und entlaust gehört), widmen sich Museen, Wissenschaftler und Feuilletonseiten immer weniger den edlen Kunstformen und immer obsessiver der Populärkultur. Deshalb heißen Filmseminare heutzutage entweder trendsicher „Erlebnisort Kino“ oder ganz einfach „Stars“, männlich, knapp, hart wie der Triphaluzepterus in Schwarzeneggers aufgepumptem Oberarm.

Aber ja doch, Sie haben Recht, Schluss jetzt mit diesem altmodischen 70er-Jahre-Gejammer, das eh kein Schwein mehr grunzen will. Zur Sache Schätzchen: Die Vorträge waren zum überwiegenden Teil einzelnen Menschenwesen gewidmet: Marlene Dietrich, Zarah Leander, Götz George, Catherine Deneuve. Und es sollte über die Qualität der einzelnen Redebeiträge entscheiden, wie sehr der Referent an der Biografie seines Sterns festklammerte oder daraus Mustergültiges über Zeit, Filmindustrie etc. ableitete. Georg Seeßlen, längst der heimliche Star der Bremer Filmsymposien, musste zwar sein rhetorisches Talent an das knuddelige Babyface Leonardo di Caprio vergeuden, was keineswegs freiwillig geschah, sondern im Auftrag der Veranstalter, wie er hernach gestand. Doch er schüttelte so ganz nebenbei eine Reihe knackiger Theorien aus dem Ärmel, etwa eine Rezeptionstheorie, die ironisch das Schichtenmodell der Psychoanalyse kopiert: Statt zum ES führt der Dreischritt nämlich zum ICH. Das geht (ziemlich verkürzt) so: Die ZuschauerIn nimmt die FilmheldIn zunächst als Gegenstand distanzierter Beobachtung wahr, als SIE/ER, dann als DU, in das sie „auf mehr oder weniger subtile Weise verliebt ist“, aber auch als ICH, genauer gesagt, als jenes ICH, das man eigentlich sein wollte, wenn man die Wahl hätte. Diese Identifikation ist bei Stars eine doppelte, denn dort gilt sie im Unterschied zu den gewöhnlichen SchauspielerInnen nicht nur der Rolle, sondern auch dem Menschen hinter der Rolle. Wir sind aber nicht nur fasziniert vom Star, sondern auch davon „wie er von einem riesigen Apparat in Bewegung gesetzt wurde“. Und so ist das Starsystem ein Musterbeispiel des Kapitalismus, wo sich die Gegensätze „Magie und Manipulation“ treffen.

Mut zur großen (und deshalb auch groben) These mischt sich bei Seeßlen wunderbar mit hübschen Details: Dass Chaplins Jahresgehalt irgendwann auf 170.000 $ aufgestockt wurde, war den damaligen Zeitungen ein Bericht auf Seite 1 wert, womit das Honorar symbolische Bedeutung gewann und zum Maßstab avancierte für die Bedeutendheit des jeweiligen Stars.

Helmut Korte dagegen erzählt just das, was man immer schon über Götz Georges Rüpelcharme wusste. Auch hält er es der Erwähnung für würdig, dass der Mensch George mit der Figur Schimanski nicht deckungsgleich ist und dass ein Star wie George auch in sehr unterschiedlichen Rollenfächern reüssieren kann. Auch andere Vorträge erinnerten an altbekannte Thesen über das Fan-Wesen: die Gleichzeitigkeit von Außergewöhnlichkeit und Gewöhnlichkeit der Stars; die Perpetuierung klarer Images, wobei aber ein widersprüchlicher, dem Grundimage widerstrebender Rest unabdingbar ist um Gähnen zu vermeiden; das Generieren von anziehender geheimnisvoller Undurchschaubarkeit durch schnöde Tricks wie schummriges Licht und in die Ferne geschmissene Blicke. Und im Laufe des Symposiums erhärtete sich der Eindruck, dass die Mechanismen der Auraproduktion alles andere als eine Geheimwissenschaft darstellen und längst allgemein bekannt sind - in Funk&Fernsehen, FAZ& taz täglich vor aller Augen offengelegt. Was uns aber merkwürdigerweise keineswegs davon abhält, stets aufs Neue dem einen oder anderen Star hemmungslos zu verfallen.

Schwere deja-vu-Gefühle erzeugte ein schwärmerischer (und über seine Schwärmerei ironisch reflektierender – wie das heute so üblich ist) Beitrag über Madonna. Er zeigte überdies, dass keineswegs nur die Bravo-Zeitschrift Teil der Starmache sind. Gerade ein feministischer high-brow-Diskurs genierte sich nicht, den Star-Status Madonnas mit anzukurbeln. Aber das war vor 10 Jahren. Als dann auch noch Baudrillard himself seine Simulationssoße über Madonna goss und auf das Trügerische der vermeintlichen Freiheit der Identitätslosigkeit hinwies, war die Frau theoretisch ausgelutscht; auch wenn das Fantum der Popwissenschaft so weit geht, dass selbst noch eine piefige Änderung von Madonnas Freizeitbeschäftigung (früher Bodybuilding, heute Yoga) für unheimlich theorierelevant gehalten wird. Wenn die Referentin heute die alten Videos Revue passieren lässt, auf denen Madonna ihren hübschen Busen (etwas vereinfacht gesprochen, aber nicht allzu sehr) mal mit blondem, mal mit rotem, mal mit schwarzem Haar in die Kamera hängt, wirkt die Sache mit dem Identitätssurfen rückblickend schwer nach Theorie-Hype.

Und dann die Sache mit der Inszenierung der Inszenierung. Stephen Lowry zeigte in seinem erfreulich klug-nüchtern-anti-fanischen Zarah-Leander-Vortrag, dass schon eine Diva der 30er die Künstlichkeit ihres Spiels auskostete und sichtbar machte. Bezüglich der Rezeption des Nazi-Films spricht er eine Warnung aus, die eigentlich auch für den populären Hollywood-Film gelten kann: Früher einmal, so meint er, hakte man die Filme der NS-Zeit als 100-prozentig durchideologisiert ab; als dann die kritischen, widersprüchlichen, komlexen Elemente ins Auge fielen, galten die Filme plötzlich als heimlich-suversiv. „Das ging so weit, dass Veit-Harlan-Filme gerettet werden sollten.“ Doch es ist „ein faschistisches Trugbild weiblicher Autonomie“, das Leander verkörpert. Hallo, Madonna-Fans. „Die vermeintlichen Widersprüche sind nichts anderes als Teil des gewünschten Produkts und keineswegs als politischer Widerstand zu interpretieren.“ Adorno nickt aus seinem Grab freundlich zu. bk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen