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Anatomie eines Versprechens

West Side Glory: Die Sängerin Jennifer Lopez ordnet sich im weißen Pop-Mainstream ein. Das macht sie zum Role Model für die künftige Verortung der Latino-Minderheit im ethnischen Koordinatensystem der USA – und zum Thema der Cultural Studies

von DANIEL BAX

Amerika schaut auf diesen Hintern. Und spricht darüber. „Jennifer Lopez braucht zwei Autos, um sich fortzubewegen“, spottete der Musiker Chris Rock als Moderator bei der Verleihung der vorletzten MTV-Awards. „Eins für sich und eins für ihr Gesäß.“ Schon damals hatte sich der Spitzname „The Butt“ eingebürgert für die Schauspielerin und Sängerin, die ganz oben schwimmt auf der Welle des so genannten Latin-Booms, im Kino wie im Pop.

Kaum ein Artikel über oder ein Interview mit Jennifer Lopez, in dem ihre weiblichen Rundungen nicht zur Sprache kommen. Eine Autorin des Hip-Hop-Magazins Vibe hat einmal versucht, diesen Umstand in den Kontext der afroamerikanischen Erfahrung zu rücken. Im Gespräch mit Jennifer Lopez verglich sie die öffentliche Erörterung ihres Pos mit dem taxierenden Blick, den die weißen Kolonialisten einst auf ihre schwarzen Sklavinnen warfen. Doch dem Versuch, bei Jennifer Lopez damit solidarische Betroffenheit zu wecken, war nur wenig Erfolg beschieden. Mehr als ein „wie schrecklich“ fiel ihr zu diesem Vergleich nicht ein.

Jennifers Po wird öffentlich erörtert

Sozialkritik ist ihre Sache nicht, und solche Fragen perlen an ihr ab wie Duschwasser an einer Shampooflasche. Den Sexismus, dem sie begegnet, weiß Jennifer Lopez schließlich nur zu gut für sich zu nutzen. Davon zeugt die ausgiebige Inszenierung ihres Körpers, mit der sie die Aufmerksamkeit zu erregen weiß – seien es die voyeuristischen Einstellungen, mit denen die Kamera sie jüngst im Kinothriller „The Cell“ auf Schritt und Tritt begleitete, oder die freizügig ausgeschnittenen Kleider, mit denen sie sich gerne auf der Bühne oder bei Celebrity-Spektakeln wie der Grammy-Verleihung zeigt.

Eine Weile kursierte gar das Gerücht, sie habe sich ihren Körper für über eine Million US-Dollar versichern lassen. Ein Hauch von Exhibitionismus ist da stets mit im Spiel, wobei das Femme-fatale-Gebaren in einem – typisch katholischen? – Kontrast steht zu eher konventionellen moralischen Ansichten, die sie zur Schau trägt. Ihr Erfolg aber gibt dieser Strategie Recht. Seit zwei Jahren ist Jennifer Lopez ein Stammgast auf den Titelblättern der Modehefte und Lifestylemagazine. Und sie ist die am besten bezahlte Latino-Schauspielerin der USA.

Das ist natürlich keine schlechte Karriere für ein Kind aus der Bronx, dessen Eltern noch aus Puerto Rico eingewandert sind und das schon als Mädchen auf großer Bühne stehen wollte. Mehr als hundert Mal will Jennifer Lopez in ihrer Jugend das Musical „West Side Story“ gesehen haben, mit deren Hauptfigur Rita Moreno sie sich identifizierte. Ihre kürzlich erschienene Biografie (Heyne Verlag, München 2001, 320 S., 17,90 DM) liest sich auf den ersten Seiten dann jedoch eher wie eine Mischung aus „Flashdance“ und „A Chorus Line“: Mit harter Arbeit und viel Training tanzte sich Jennifer Lopez zunächst in Musicalproduktionen nach vorne, bevor ihr mit etwas Glück der Wechsel vor die Kamera gelang.

Obwohl es in den USA kein eigenständiges Latino-Kino gibt, das sich mit dem afroamerikanischen Filmbetrieb vergleichen ließe, so gibt es doch eine informelle Latino-Connection. Den Sprung auf die Leinwand verdankt sie dem Regisseur Gregory Nava, der ihr eine Rolle in seinem Migranten-Melodram „Meine Familie“ zuwies und in dessen Filmporträt der texanischen Popsängerin Selena sie später die Hauptrolle übernahm. Mit der Zeit aber emanzipierte sie sich von den Latina-Rollen. Nach mehreren B-Movies ebneten ihr 1998 die Auftritte neben Sean Penn in „U-Turn“ von Oliver Stone und in Steve Soderberghs „Out of Sight“ an der Seite von George Clooney den Weg zum Hollywood-Ruhm. Ein Jahr später wechselte sie dann erfolgreich ins Popfach. Seitdem ist sie auf allen Kanälen.

Damit eignet sich Jennifer Lopez heute längst selbst zur Identifikationsfigur für andere heranwachsende Latinas. Und über kurz oder lang dürfte sie auch ein gefragter Untersuchungsgegenstand der Cultural Studies werden. Schließlich ist es fast schon zum Allgemeinplatz geworden, aus der Karriere von Jennifer Lopez und ihren puertoricanischen Kollegen Ricky Martin oder Marc Anthony Rückschlüsse zu ziehen auf den veränderten Stellenwert der hispanischen Bevölkerung in den USA, der am schnellsten wachsenden Minderheit des Landes. Rita Hayworth etwa musste noch den Mädchennamen ihrer irischen Mutter annehmen, um in Hollywood eine Chance zu haben. Heute hat sich dieses Verhältnis fast schon umgekehrt, wenn Teeniestars wie Cristina Aguilera glauben, ihre „hispanische“ Herkunft hervorkehren zu müssen, um mehr Platten zu verkaufen.

Tatsächlich aber lassen sich an Jennifer Lopez’ Biografie ein paar exemplarische Momente ablesen für die spezifische Situation der Latinos, von denen ein gutes Drittel Einwanderer sind und fast die Hälfte Kinder von Einwanderern – so wie Jennifer Lopez selbst, deren Eltern es einst von Puerto Rico nach New York zog. Im Vergleich zu anderen Gruppen zählen die Puerto-Ricaner in New York, deren Präsenz auf die großen Einwanderungswellen in den 40ern und 50ern zurückgeht, schon zu den Alteingesessenen, während es beispielsweise die meisten Kubaner erst nach der Revolution von 1960 in den Norden verschlug.

Aufstiegswille und Leistungsethik

Trotzdem finden sich die meisten von ihnen am unteren Ende der Einkommensskala, die Arbeitslosigkeit etwa ist unter Puerto-Ricanern doppelt so hoch wie im US-Durchschnitt. Anfangs trafen sie deswegen die gleichen Diskriminierungen wie ihre afroamerikanischen Nachbarn. Doch eine lose Sprachgemeinschaft wie die der Latinos fügt sich nur schlecht in das nach „Schwarz“ und „Weiß“ aufgeteilte ethnische Koordinatensystem der USA.

Assimilation bedeutet im nordamerikanischen Kontext, sich abzusetzen von der „schwarzen“ Minderheit. Und die historische Erfahrung hat gezeigt, dass im Vergleich zu Afroamerikanern alle anderen, ob Iren, Italiener, oder Juden, früher oder später von der Mehrheit als „weiß“ eingestuft wurden.

Den Latinos fehlt bisher die eine oder andere Zuordnung, und nicht wenige Afroamerikaner empfinden sie daher als unsichere Alliierte – was sich etwa an der ambivalenten Rolle ablesen lässt, die den Latino-Protagonisten in der Neuverfilmung des Blaxploitation-Klassikers „Shaft“ zufällt. Vor dem Hintergrund des historischen Antagonismus zwischen „Schwarz“ und „Weiß“ waren die Latinos bis weit in die Neunziger hinein schlicht „unsichtbar“, politisch wie popkulturell. Noch 1992 etwa tauchte in einer Newsweek-Liste der 100 Amerikaner, die das kulturelle Leben des Landes in Zukunft prägen dürften, kein einziger hispanischer Name auf.

Heute würde dort wahrscheinlich an erster Stelle Jennifer Lopez stehen. Sie ist ein Musterbeispiel für den Aufstiegswillen und die Leistungsethik, die sich oft unter Migranten finden – Eigenschaften, die auch nicht wenige junge Karriere-Türken in Deutschland auszeichnen. Das sind natürlich eher konservative Werte, und tatsächlich sind auch die Latinos in den USA, wie die letzten Wahlen gezeigt haben, längst gespalten zwischen einer traditionellen Affinität zur Demokratischen Partei und den Verlockungen der republikanischen Rechten. George Bush tat gut daran, im Wahlkampf auf die Latino-Karte zu setzen und seine Inauguration anschließend mit einem Auftritt von Ricky Martin zu feiern.

Die Art und Weise aber, wie sich Latino-Künstler wie Ricky Martin oder Jennifer Lopez heute fast reibungslos in den „weißen“ Mainstream der USA fügen, hat symbolische Wirkung und kann als Signal gelten für die zukünftige Verortung dieser Bevölkerungsgruppe. Der Wille, die ursprüngliche Herkunft hinter sich zu lassen, spiegelte sich bei Jennifer Lopez schon im Titel ihres Debütalbums wider, einem Verweis auf den Weg aus dem Ghetto: „On the 6“, das anspielte auf die Subway-Linie 6, mit der sie früher aus der Bronx regelmäßig zu ihren Tanzstunden nach Manhattan gefahren war.

R ’n’ B als Soundder Assimilation

Auf der neuen Platte, die zur Kennzeichnung lediglich die Initialen „J. Lo“ trägt, zeigt sie sich, protzig und mit vulgärem Glamour, löwenmähnig und goldbehängt mit den Insignien ihres Erfolges. „My love don’t cost a thing“, behauptet sie trotzdem bescheiden auf ihrer aktuellen Single – was man aber nicht recht glauben mag, hört man die Geschichten vom Material Girl, das beim Schuhkauf zuschlagen soll wie einst Imelda Marcos.

Der überwiegende Teil des Albums ist unspektakulärer, moderner R ’n’ B, keyboardlastig und computergeneriert. Es ist die Art von Musik, die in Fitnessstudios und Solarien läuft, etwas monoton im Midtempo-Bereich gelagert und funktional, mehr sportlich als sexy und eine Spur zu sauber. Obwohl Jennifer Lopez in Interviews gerne zu Protokoll gibt, sie sei mit Hip-Hop wie mit Salsa groß geworden, findet sich von diesen beiden Einflüssen erstaunlich wenig wieder in ihrer Musik: Es ist eben R ’n’ B, der Sound der sozialen Aufsteiger, nicht Hip-Hop, der Sound des Ghettos – und der Latin-Einfluss beschränkt sich wesentlich auf zwei, drei spanische Songs am Ende des Albums. Die Beschwörung „spanischer Wurzeln“ war bei Jennifer Lopez überhaupt schon immer eher strategischer Natur, schließlich wurde schon in ihrem Elternhaus früher kaum Spanisch gesprochen. Und bevor der Mainstream, in Hoffnung auf den exotischen Mehrwert, den Latin-Pop zu entdecken und umarmen begann, war diese Kompetenz auch nicht relevant.

Federführend mitgewirkt am neuen Album hat der Starproduzent Puff Daddy. Dessen Liaison mit Jennifer Lopez wirkt wie ein fernes Echo der historischen Verbundenheit zwischen Latinos und Afroamerikanern, deren Wege sich zunehmend getrennt haben. Dass Jennifer Lopez kürzlich als Zeugin vor Gericht aussagen musste, weil sie mit ihrem Partner Puff Daddy bei einer Schießerei in einem Nachtclub in New York zugegen gewesen sein soll, hat ihrem Image zwar keine merklichen Kratzer zugefügt, aber die Beziehung belastet.

„Keine Fragen zu Puff Daddy“, verbat sich das Management von Jennifer Lopez denn auch, als es bei ihrem letzten Kurzbesuch in Deutschland ausgewählte Pressevertreter zum Roundtablegespräch mit der Sängerin lud, und „keine persönlichen oder intimen Fragen.“ Die wurden dann auch nicht gestellt. Zu dem Gruppeninterview entsandten die geladenen Lifestylemedien wie FHM, blond oder In-Style übrigens nicht ihre Musikredakteure und -redakteurinnen. Die Chefredakteure – ausnahmslos Männer natürlich – nahmen den Termin lieber selbst wahr.

Jennifer Lopez: „J. Lo.“ (Sony/ Columbia)

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