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Dramatischer Würfelhusten

■ Wie tief kann man sinken? Das Stadttheater Bremerhaven setzt in dieser Frage mit der Uraufführung seines vollständig witzlosen Musicals „Graf Dracula“ neue Maßstäbe, deren Bekanntschaft man lieber nicht gemacht hätte

Jetzt hat das Stadttheater ein neues Haus mit allen Raffinessen moderner Technik, und Intendant Peter Grisebach hat nichts Besseres zu tun, als zu beweisen, dass die schönste Technik vergeblich ist, wenn das Niveau in den Keller gesenkt wird. Tiefer kann es nicht mehr gehen. Mit viel Aufwand wurde am Wochenende „Graf Dracula“ begraben.

Das Begräbnis war als „Uraufführung“ angekündigt, es sollte ein Musical werden und damit zu den liebsten Bühnenkindern des Bremerhavener Publikums gehören, das in den letzten Jahren mit der „Rocky Horror Show“, mit dem unvergessenen „Little Horror Shop“ und einem charmanten „Käfig voller Narren“ einige Prachtexemplare jener Gattung zu Gesicht bekommen hatte. Aber „Dracula“ wurde eine Totgeburt, und was zweieinhalb Stunden auf der Bühne des Großen Hauses zu sehen war, kann bestenfalls als „Olympiade der Knallchargen“ bezeichnet werden, zu dem Grisebach – als Regisseur – die Darsteller degradiert hat.

Dabei waren die Voraussetzungen zur Produktion seines Babys nicht die Schlechtesten: Mit dem Bremerhavener Bühnenliebling Hans Neblung in der Titelrolle hat er einen charismatischen Sänger, mit Kaatje Dierks in der weiblichen Hauptrolle eine wahrhaftig starke Musical-Stimme, mit der Rocky Horror-Band um Peter Stolle eine gut eingespielte Musiker-Crew, die ihr Metier beherrscht. Chancen, die Peter Grisebach verschenkt: an ein Libretto, das – laut Programmheft – von einem dänischen Fantasy-Fan und einem belgischen Chirurgen verfasst worden sein soll. In der Stadt wird seit Wochen gemunkelt, dass hier ein Stadttheater-Intendant seine Finger im Spiel gehabt habe.

Der angebliche Chirurg – „tagsüber Wissenschaftler, arbeitete er nachts besessen an einer umfassenden Studie über Vampirismus“ – ist nicht zu erreichen, er erschien auch nicht zur Premiere, und er sollte besser bei seinem Handwerk bleiben, statt sich an fremder Materie zu vergreifen und Bühnenkörpern das letzte bisschen Blut auszusaugen. Das (Dreh-)Buch orientiert sich an Francis Ford Coppolas Dracula-Film, dessen düster-elegische Stimmung sich auf der Stadttheater-Bühne zur müden Klamotte verwandelt. Grisebach spielt mit der Bühnentechnik, als sei sie sein liebstes Kind, da werden permanent – und stets anschaulich langsam – Bilder nach oben oder unten, nach hinten und nach vorn oder seitlich heraus- und hereingefahren, was Tempo und Handlungsfluss dauerhaft bremst. „Dramatischer Würfelhusten“, sagt mein Nachbar dazu.

Jede Szene ist vollgestopft mit Schlafzimmermöbeln, Säulenhallen, Schlosstreppen, grauen Kellerwänden, als wolle der Hausherr beweisen, dass die verstaubte Bühnen-Ästhetik des 19. Jahrhunderts ihre Wiederauferstehung feiern muss. Vier Damen und vier Herren von der Tanztruppe mühen sich redlich um einige Verrenkungen auf der Vorderbühne, ein Damentrio singt ganz manierlich, aber da ist nichts zu retten. Am peinlichsten sind die elend langen Dialoge. So hölzern, dünn und witzlos kann nicht mal ein belgischer Chirurg sein, und wenn, die Medizinergilde sollte ihm sofort und für immer den Mund zunähen.

Leider darf man vermuten, dass dies alles ernst gemeint ist. So kann es kommen, dass während der Premiere eine Darstellerin (die Namen lassen wir zum Schutz des Personals beiseite) den Satz des Abends sagt: „Ich möchte keine Sekunde länger hier sein.“ Ein Bonmot, das einen Zuschauer im Parkett zu einem heftigen, erlösenden Seufzer veranlasste, woraufhin in anderen Reihen ein mühsam unterdrücktes Gelächter erklang. Undsoweiterundsofort.

Wenn Dracula auf dem Bett der Geliebten sein letztes Lied anstimmt, müssen seine Häscher minutenlang um ihn herumstehen – mit Kreuz und Pflock in den heftig zitternden Händen – bis sie nach dem Ende des Songs endlich losschlagen dürfen. Das ist dermaßen klischeehaft grob gestrickt, das ist so tödlich steif in Szene gesetzt, dass die Darsteller – immerhin Profis – sich weigern sollten, auf die Bühne zu kommen. Die Musik spült originäre Rock-Songs der 80er Jahre von Alice Cooper bis Black Sabbath durch den Weichmacher, im zweiten Teil häufen sich die ermüdenden Schmachtfetzen, deren Süßlichkeit irgendwann unerträglich wird.

Selbst ein so guter Darsteller wie Martin Kemner, der gekonnt den irre gewordenen Dracula-Jünger Jonathan spielt, kann das in den Keller gefahrene Stück nicht mehr heben. Bleibt die Frage: Wozu das Ganze? Soll damit ein junges Publikum angezogen werden? Intellektueller Flachsinn, null Erotik, kein Humor und keine Aussage, garniert und übertüncht mit Pop-Soße, wenn dieses Grisebach-Baby Musical genannt werden darf, dann ist die Gattung demnächst am Ende.

Dem Stadttheater-Ensemble kann man nur empfehlen, sich einen Regisseur zu suchen, der aus der lähmenden Klamotte ein echtes Trash-Spektakel macht. Lasst die Salonwände wackeln, was das Zeug hält, zieht das affektierte Gequatsche durch den Kakao, ver-arscht euch selber nach Strich und Faden, und achtet auf den Butler. Der muss minutenlang mit einem Tablett voll gefüllter Sektgläser am Rande einer Salonparty stehen. Niemand nimmt ein Glas, denn alle haben ja schon eins, er steht und steht und steht, und irgendwann geht er zwei Schritt nach vorn, ohne die Miene zu verziehen. Ein wahrer Buster Keaton! Hans Happel

Die nächsten Aufführungen des Musicals „Graf Dracula“ im Stadttheater Bremerhaven (Großes Haus): 31. Januar, 2., 9., 15., 16. Februar, 17., 24., 27. und 31. März. Karten und Infos: 0471/49 001

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