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Vergessen mit Methode

■ Vier Monate lang studierten zehn Mädchen und junge Frauen eine Choreographie über ihre Lust am Tanzen ein. Jetzt wurde das Ergebnis unter dem Titel „Jump“ im Schlachthof bejubelt

Anna tanzt schon seit zwei oder drei Jahren. Sie ist zehn Jahre alt, und da sind zwei oder drei Jahre dasselbe wie „eigentlich schon immer“. Deshalb spricht Anna vom Tanzen auch wie ein alter Hase, berichtet vor laufender Kamera über ihre Tanzerfahrungen, als wären Interviews Routine. Und mit fast genau dieser Routine tanzt Anna auch ihr kleines Solo auf der großen Bühne der Schlachthof-Kesselhalle.

Neben Anna hat die Tanzpädagogin Inga-Britta Becker im letzten Herbst noch neun weitere Mädchen und junge Frauen im „tanzwerk“ im Kulturzentrum Lagerhaus um sich geschart. „Was hat Tanz für eine Bedeutung in eurem Leben?“, wollte sie wissen und ließ sich diese Frage in vier Monaten regelmäßiger Treffen in Filmaufnahmen, Übungen und Bühnenproben beantworten. Eine Choreographie mit gleichzeitig auf die Leinwand projizierten Filmschnipseln namens „Jump“ ist dabei entstanden, die jetzt unter großem Jubel des mehrheitlich mit den Darstellerinnen verwandten oder bekannten Publikums im Schlachthof zu sehen war.

Wie Anna nehmen auch andere „eigentlich schon immer“ Ballett-Unterricht. Manche sind im Verlauf ihres Tänzerinnen-Lebens auf Samba und Jazzdance umgestiegen oder lassen sich zum Frustabbau oder einfach nur so von HipHop inspirieren. Für „Jump“ haben sie sich ihre Lieblingsplätze ausgesucht. Auf offener Straße, auf einem Dach, an den Weserarkaden, am Hollersee oder in einer Bibliothek haben sie sich beim Tanzen filmen lassen. Und nun führen sie ihren Lieblingstanz zur Projektion neben der Leinwand auf der Bühne simultan auf. Eingerahmt von geschickt inszenierten Gruppenposen und einer Musik von Debussy bis – „oops“ – Britney Spears folgt in dieser einstündigen Choreographie ein Solo auf das nächste. Bei manchen Soli gesellen sich eine oder zwei weitere Mitwirkende hinzu. Flüssig und kurzweilig entsteht eine Folge von 15 Szenen. Das ist unterfüttert durch die Projektion von Interviews, in denen Anna, Pia, Tina und die anderen erzählen, warum sie tanzen.

„Beim Tanzen kann man alles andere vergessen“, weiß eine der Teilnehmerinnen. Und viel mehr Körpergefühl entwickeln als bei einem anderen Sport. All das haben Mädchen den Jungs voraus. Denn Tanzen ist offenbar immer noch Mädchensache. Aber vielleicht ändert sich das, wenn „Jump“ noch einmal zu sehen ist und dann die Bremer Billy Elliots die Fußballschuhe mit Tanzschuhen tauschen.

ck

Eine 20-minütige Werkstattaufführung von „Jump“ ist beim Festival Tanz Bremen im März zu sehen. Weitere Aufführungen sind im September geplant.

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