Der Job eines guten Gesichts

Psychologie, Tiefe, Veränderung haben ihn nie interessiert – Kirk Douglas brachte durch Stereotyp und Synthese die Eindeutigkeit zur Vollendung. Auf der Berlinale wird er für sein Lebenswerk mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet

von DIEDRICH DIEDERICHSEN

Was haben die Jahreszahl und der Ehrengast der diesjährigen Berlinale miteinander gemeinsam? Nun, was wohl, Kubrick natürlich. Als Kirk Douglas Kubricks „Killing“ sah, einen billigen Film, der auch nicht viel Geld einspielte, beschloss er diesem Talent zu helfen. Douglas gab ihm die Möglichkeit, gleich zwei Filme zu drehen, in denen er, der damals schon weltberühmte Holywood-Star, die Hauptrolle übernahm. Hier streiten zwar die Chronisten, aber Douglas besteht darauf, dass Stanley ohne ihn bis ans Ende seiner Tage B-Pictures gedreht hätte. Schließlich war er nicht nur der Star, sondern auch einer der Geldgeber von Kubricks beiden ersten großen Produktionen, „Paths Of Glory“ (1957) und „Spartacus“ (1960).

In der ersten ist Douglas ein unwirklich unerschrockener französischer Oberst (Colonel Dax), der im Ersten Weltkrieg gegen eine korrupte und barbarische Armeeführung antritt, wobei er leider nicht die sinnlose Hinrichtung dreier ihm untergebenen Soldaten verhindern kann – eine endlose, entsetzliche Kubrick-Zeremonie mit einem Vorgeschmack anderer Zeremonien dieses Meisters. In „Spartacus“ führt Douglas unerschrocken, tapfer, körperlich stark und bis zum grausamen Scheitern den Sklavenaufstand gegen Rom, an dessen Ende eine Massenkreuzigung steht, die zwischen Zeremonial-Perfektionismus und Männer-Pin-ups landet.

Kirk Douglas ist wahrscheinlich der letzte lebende Darsteller aus der Zeit einer stilistischen Hegemonie des Hollywood-Kinos. Diese Ära, die von den mittleren 30ern, den Tagen eines ersten einigermaßen konsolidierten Tonfilms, bis knapp in die 60er reicht, ist vor allem davon geprägt, dass Schauspieler lernten, zu lebenden Zeichen zu werden. Nicht mehr das Vermögen, in immer neue Rollen zu springen und sie wandlungsfähig mit neuer Glaubwürdigkeit zu füllen, war wesentlich. Es ging darum, ein stabiles, körperloses, zweidimensionales Menschenzeichen zu entwickeln, auf das sich der Zuschauer verlassen kann – und das ihn dennoch erschüttert und rührt und verliebt macht.

Viele Schauspieler dieser Epoche lösten das Problem des antitheatralen Spiels, indem sie sich an einen Inhalt klammerten, das Zeichen also von der Bedeutung her aufzäumten. Immerhin gab es für ein solches Vorgehen auch schon eine gewisse Vorläuferschaft im klassischen Bühnenleben: das Rollenfach, das einer beherrschte und dem er sich fügte. Doch meistens ging diese Strategie zwar nicht schief, aber doch medioker aus. Am besten klappte sie dann, wenn man das Gefühl hatte, dass nicht eine Idee oder eine Entscheidung hinter einer Performance stehen, sondern ein körperlich bedingtes Nichtanderskönnen: Wenn Schauspieler wie James Stewart, Cary Grant oder John Wayne einfach nur Schlaksigkeit, Wendigkeit oder Schwerfälligkeit aufführten und alle anderen Eigenschaften sich davon ableiten ließen.

Kirk Douglas aber ging etwas weiter, und man kann das in seinen beiden Kubrick-Filmen besonders schön studieren. Statt von der Bedeutung her zum Zeichen zu finden, hat er früh gelernt und bald zur Vollendung gebracht, an sich eindeutig zu sein. Er erzeugte Eindeutigkeit und Klarheit – ohne dass es notwendig eine inhaltliche Klarheit war. Kirk Douglas verkörperte immer eine Bedeutung pro Film – manchmal noch deren Gegenteil, aber selten. Und das zeigte sich nicht als Mangel an Komplexität, sondern als entschieden gestaltete Eindeutigkeit, nach vorne springende Klarheit. Kurz: als rundum filmisches Verhalten.

Kirk Douglas wirkt nicht formelhaft, dabei bringt er in jeder Rolle eine Formel zur Anwendung. Er verändert sich nicht während eines Films, selbst dann nicht, wenn ihn das Drehbuch mit Psychologie belästigt. Wenn er gut ist, dann hat er alle zu erwartenden Wechselfälle einer Rolle von Anfang an in einen Gesichtsausdruck synthetisiert – und bei dem bleibt er dann. Das lässt sich an den Kubrick-Filmen deswegen besonders gut studieren, weil Kubrick genau solches Verhalten immer geliebt und gefordert hat. Douglas begreift ihn sozusagen auf seinem Niveau: nicht um Tiefe und Veränderung, Psychologie und anderen Actors-Studio-Schmonzes geht es, sondern darum, als Zeichen in Propositionen rumzustehen, die gerade mal noch die Bandbreite von Großbuchstaben und Kleinbuchstaben zulassen. Dies wohlgemerkt nicht als Reduktion verstanden, sondern als große Kalligrafie.

Wenn sich die Welt heute an Kirk Douglas erinnert, dann an einen kräftigen, blonden, unbestechlichen Wikinger, Offizier, Sklavenführer, Rennfahrer, Jules-Verne-Abenteurer, Zirkusakrobaten oder Luftwaffengeneral. Diesen Rollen und vor allem ihrer geradlinigen Gestaltung in seinen besten Filmen stehen aber ebenso viele Lügner, Betrüger, Gauner, Journalisten und andere windige Typen gegenüber. Nur dass auch alle Fälle menschlicher Irrläufer und Sonderschicksale in Kirk Douglas’ Rollenverständnis ähnlich klare und auf den Punkt gebrachte synthetische Gesichter hervorbringen wie die dem Namen und dem Inhalt nach eindeutigen Figuren.

Gerade gegen das ideologische Klischee von der Eindeutigkeit als moralischer Qualität setzt er nicht – wie die bürgerliche Hochkultur – den komplexen Charakter, sondern dieselbe Geradlinigkeit bei der Gestaltung von weniger bürgerlichen Galgenvögeln.

Stereotyp und Synthese sind bei Kirk Douglas nicht Verfallsformen alter bürgerlicher Schauspielkunst, sondern produktive Vorschläge filmischer Darstellung. Schritte in eine Welt, in der Menschen mit Cartoon-Figuren konkurrieren. Gegen die kann man nur auf deren eigenem Terrain gewinnen, und das ist – folgt man Douglas’ Vorschlägen – der Job eines guten Gesichts.

Unmittelbar vor den Kubrickfilmen sah man ihn in zwei anderen Rollen seines Lebens. In Vicente Minellis „Lust For Life“ (1956) gibt er den wahnsinnigen Künstler Vincent van Gogh. Direkt danach spielt er in John Sturges’ „Gunfight at the OK Corral“ (1957) den tuberkulösen und alkoholkranken Doc Holliday. Einen Mann im Endstadium, der dann doch mitgeht zur Entscheidungsschlacht am besagten Corral. Doch Holliday ist in diesem Film so lange unzuverlässig, impotent, selbstmitleidig, verlogen, krank und ohne Rückgrat, dass man das, was man natürlich die ganze Zeit weiß – dass nämlich Mannesstolz und Freundestreue am Ende doch siegen werden –, wirklich nicht mehr glaubt.

Douglas ist so straight nichtstraight, dass er geradezu triumphal am Ende das Ruder rumreißen kann. Jetzt ist er nicht nur ein Mann, sondern einer, der sich aus der Kontrastfolie eines todkranken, versoffenen Sauhaufen herausgeschält hat.

So arbeitete Douglas immer mit Kontrapunkten, die er sich aus seinen eigenen früheren Rollen und anderen Stadien der aktuellen Rolle lieh. Er konstruierte keine Übergänge, sondern springt ins Gegenteil. Auf dem Wege zum Duell sind ihm dann keine Schwachheiten mehr anzusehen. So könnte er auch eine Horde Wikinger gegen Kansas City führen.

Man hat den Eindruck, dass diese Sprünge auch mit seinen Anfängen in großen Noirs wie etwa Jacques Tourneurs „Out Of The Past“ zu tun haben. Die Noir-Idee will ja, dass ein Mann rundum betrogen wird, dass, ganz barocke Weltverzweiflung, nichts so ist wie es scheint, und nicht nur anders, sondern das Gegenteil. Das musste schon so mancher melancholischer Trenchcoat-Träger der 40er-Jahre erfahren, kaum einer aber so brutal wie Robert Mitchum in diesem Film von 1947. Dort ist der junge Kirk Douglas der Böse – und er ist einer der glattesten, eindeutigsten, in der ungebrochenen Leugnung jeden Bruches unheimlichsten Bösen. Er ist so viel böser, weil er so ganz unpsychologisch böse ist, so ganz Rollenträger in der mechanischen Logik des Noir-Weltbildes.

Keine Rolle schien allerdings seinem Prinzip so zu widersprechen wie die des Vincent van Gogh. War dieser nicht nur reine Psychologie, sondern auch noch deren Übersetzer in eine ganz und gar unfilmische Bildwelt? Voller Brüche, zerstreut in Fragmente und Punkte, einem Ganzen, das sich nicht dem Zeichenhaften fügen würde?

Kein Problem für Douglas. Er machte aus dem wahnsinnigen Genie einen handhabbaren Topos. Seiner Mimesis an van Goghs Selbstporträt verdankt die Welt eine Poster-Industrie und das Fremdenverkehrsamt in Auvers-sur-Oise viel Arbeit mit amerikanischen Touristen.

Minelli und Douglas produzieren hier schon zwei Jahre vor Hamilton und fünf vor Warhol die erste Pop-Art, den Übergang eines Mythos der Moderne in einen Topos der Popkultur. Nur, und das muss man gegen die nahe liegende Einsortierung dieser Beobachtung in eine bloß kulturkritische Lesart festhalten, nicht in einer Bewegung der Vereinfachung und Verblödung, sondern in der Anschließung an und Übersetzung in neue mediale Verhältnisse, neue Künstlerberufe, neue Paradigmen.

Douglas konnte später ganz gut auch mit dem Unzeitgemäßwerden seines zeichenhaften Schauspiels umgehen. Schon in „The Arrangement“ von Elia Kazan proben zwei alte Männer, die in den 50ern groß wurden, erfolgreich die Auseinandersetzung mit einem New Hollywood im damals erst embryonalen Stadium. Dieses große postmoderne Meisterwerk, das regelmäßig als unzusammenhängend und unlogisch richtig beschrieben und falsch bewertet, also verkannt wird, zeichnet erstmals ein psychologisches Bild von Kirk Douglas: In Kazans Film spielt er einen in der Werbung erfolgreichen Sohn griechischer Immigranten in der Midlife Crisis. Ein Bombardement von Rückblenden, Stilbrüchen bis hin zu eingeblendeten Cartoon-Interjektionen im Stile der Batman-TV-Serie umtänzelt den immer noch ziemlich eindeutigen Mann, der sich nun aber darauf verlegt hat, seinen Kontrapunkt aus den irren Regieeinfällen von Kazan zu gewinnen.

Auch im wirklichen Leben hat Kirk Douglas schon früh in den 50ern eine wichtige Entscheidung gefällt: Sei engagiert, geh nicht gleichgültig durchs Leben! Nicht so stringent war indessen der jeweilige Grund seines Engagements: in den 50ern unterstützt er Autoren, die McCarthys Hexenjagd zum Opfer gefallen fielen. Dalton Trumbo etwa, dem er bündelweise Drehbücher abkauft (darunter „Spartacus“, weil Stanley nämlich nicht schreiben konnte!) und gleichzeitig angibt, ihm sein Leben und seine Ehre zu verdanken. Doch mit dem gleichen Engagement setzte er sich für afghanische Mudschaheddin ein oder verteidigt Nancy Reagan gegen böse Liberale.

Im Alter hat der als Issur Danielowitsch in New York geborene Sohn russischer Juden sich der Lektüre von Thora und Talmud gewidmet. Vor allem nach einem Hubschrauberabsturz und einem Schlaganfall hat der mittlerweile auch als Buchautor erfolgreiche Vater eines inzwischen noch berühmteren Sohnes ganz die weisen Worte heiliger Schriften auf der ganzen Welt entdeckt.

Sein Lieblingssatz, der all seine Bücher durchzieht, fällt immer, wenn er eine gute Anekdote zu Ende erzählt hat, sei sie aus seinem Leben, sei sie aus dem alten Testament, ob aus dem Munde von Stanely Kubrick oder dem von Pakistans Expräsident Zia ul-Haq: „There is a message in this for all of us.“ Kirk Douglas, 84, Zeichentheoretiker: Ein gutes Zeichen zieht eine gute Bedeutung ganz von alleine an.