Von bewaffneten Blicken

Das Metropolis zeigt im Februar weitere Film in der Reihe Secret Cinema  ■ Von Urs Richter

1993 gilt Sliver der Kritik als einer der schlechtesten Filme des Jahres. Ein paar Monate zuvor hatte das Publikum Sharon Stone zur Ikone eines mainstreamverträglichen Voyeurismus erkoren: In Basic Instinct konnte es durch Mi-chael Douglas Augen einen Blick auf das Fehlen ihres Höschens werfen. Diese Lust am unbeobachteten Beobachten weitet Sliver aus. Stones Wohnung, die ihrer Nachbarn, ein ganzes Haus wird hier durch Überwachungstechnik kontrolliert. Anlass genug für den Film, aus Videosequenzen, Soundeinspreng-seln und Thrillersegmenten ein seinerseits kaum noch kontrolliertes Patchwork zu montieren. Als Kino-immanentes Thema hat der Film die heimliche Lust am Schauen bereits verschenkt, bevor er sie zum Aufpeppen seiner reichlich uninspirierten Krimihandlung nutzt: Irgendjemand in der Nachbarschaft mordet.

Viel genüsslicher hat letztes Jahr dann Joe Eszterhas, Drehbuchautor von Basic Instinct und Sliver, dem Publikum Interna aus dem Leben des Stars preisgegeben. In seinem Skandalbuch American Rhapsody lästert Eszterhas, dem Hollywood schon lange zuvor die Tür vor der Nase zuschlug, über die Stone: Während des Sliver- Drehs habe sie Partner Alec Baldwin bösartig die Zunge zerbissen. Die Filmcrew revanchierte sich bei der unleidlichen Diva durch heimliches Ins-Badewasser-Pinkeln. So helfen wir uns über langweilige Filme hinweg: durch Tratsch.

Nicht durch gelangweilte, sondern durch empörte Kritik wäre beinahe ein anderer Film im Orkus verschwunden. Als Peeping Tom 1960 in London Premiere feierte, wurde das Publikum durch Hitchcocks Psycho gerade sehr gewieft an die unterhaltsame Seite des Massenmörders herangeführt. Sus-pense in Bestform. Peeping Tom dagegen setzte gar nicht auf Spannung.

Karlheinz Böhm (der Sissi-Kaiser) arbeitet als Kameraassistent in einem Studio. Nach Drehschluss überredet er Nachwuchsschauspielerinnen zu Probeaufnahmen. In seinem Stativ ist ein Messer versteckt. Am Heimprojektor schaut er sich später die mitgefilmte Todesangst seiner Opfer an, ihre Leichen versteckt er in der Requisite.

Mit dem Hitchcockklassiker teilt Peeping Tom zwar die freudianischen Erklärungsmuster: Der sa-distische Täter ist gleichzeitig Opfer traumatischer Erlebnisse. Verstörend aber bleibt das unmittelbar übersetzte Bild der Kamera als Waffe. Wenn Anthony Perkins am Ende von Psycho seinen Teufelchenblick auf uns richtet, ist die Entfernung zum Pathologischen wieder hergestellt. Gegenüber Karlheinz Böhm lässt sich eine ähnlich distanzierte Haltung nicht einnehmen. Zu sehr sind wir Komplizen seiner Gelüste geworden, seine Kamera lief auch für uns.

Peeping Tom, der sich heute als ausgesprochen moderner Vorläufer von Filmen wie Mann beißt Hund und Schweigen der Lämmer anschauen lässt, beendete seinerzeit die Karriere von Regisseur Michael Powell. Frauenschwarm Böhm musste sich nach der skandalösen Rolle mit Kleinauftritten begnügen, gründete „Brot für Afrika“ und wurde erst in den 70ern von Fass-binder für ähnlich ambivalente Figuren wieder entdeckt.

Solche Karriereschwankungen sind Kleinigkeiten im Vergleich zu jenen, die Will Smith durchleidet. Tony Scott stilisiert ihn pompös zum Staatsfeind Nr. 1. Ein Staat, der sich solch netten Kerl zum Geg-ner macht, hat natürlich Dreck am Stecken. CIA, FBI und der Rest der Gauner spielen Gott: Aus himmlischen Satellitenschüsseln reichen ihre Augen und Ohren direkt in unsere Eigenheime, das Secret Cinema als Spielzeug für große, machtversessene Jungs. Andere große, machtversessene Jungs sitzen derweil im Senat, beanspruchen ein letztes Restchen Privatsphäre und werden liquidiert. Ein kleiner Anwalt muss die Welt alleine retten. Smith besitzt Charme, der Film nicht.

Allein auf weiter Flur kämpft auch Kathryn Bigelow in der Männerdomäne Actionfilm. Mit Strange Days lieferte sie ihr Meisterstück. Die Story schlägt in bester Film noir-Manier einige abenteuerliche Haken am Rande der Plausibilität, Hauptfigur ist ein heruntergekommenerEx-Polizist. Der verdingt sich als brain tape dealer: Er verkauft echtes Erleben, neuronale Software, die seine Klientel sich ins Hirn lädt. An einem bewaffneten Überfall teilnehmen, sich fühlen wie eine Siebzehnjährige unter der Dusche, wie wäre das?

In der bedrü-ckendsten Szene des Filmes erlebt ein Opfer seine Ermordung mittels der Empfindungen des Killers. An dieser Stelle ist das eigentliche Paradox auf den Punkt gebracht. Wie lässt sich erleben, was andere spüren, ohne die eigene Identität zu verlieren? Wenn eines der Geheimnisse des Kinos die Identifikation mit seinen Figuren ist, wo sind wir währenddessen?

Sliver: Do, 17 Uhr, Fr, 19 Uhr + Sa, 21.15 Uhr; Peeping Tom: Di, 17 Uhr + Mi, 21.15 Uhr; Der Staatsfeind Nr. 1: 16.2., 19 Uhr, 17. + 18.2., 21.15 Uhr; Weibergesellschaft: 23.2., 19 Uhr, 24.2., 17 Uhr, 25.2. 21.15 Uhr; Strange Days: 24. + 28.2., 21.15 Uhr, 26. + 27.2., 19 Uhr