Blutrausch und Wattebausch

Ist Grenzen sprengen out? Liegt es an der Wirtschaftskrise? Das Hongkong-Kino setzt in der Nachtschiene des Forums vor allem auf die Veralberung der eigenen Klischees

Der knallharte Gangster freut sich über seine neue kugelsichere Weste im quietschbunten Versace-Design; der Leibwächter ist schwul und in seinen Chef verknallt; und das Gipfeltreffen der Unterweltbosse wird unvermittelt zum Wartezimmergespräch zwischen Hypochondern, die medizinische Tipps austauschen. In „The Triad Zone“ verabschiedet sich der Gangsterfilm, wie wir ihn aus Hongkong kennen und lieben gelernt haben, endgültig von seinen eigenen Klischees. Nachwuchsregisseur Dante Lam reagiert auf die wirtschaftliche Krise des Hongkong-Kinos mit einer gnadenlosen Klamaukisierung der Ikonen.

Kaum jemand hat es zuvor so radikal gewagt, die Triaden durch den Kakao zu ziehen – auch weil das organisierte Verbrechen traditionell einen nicht unwesentlichen Teil seiner illegalen Gewinne durch Investionen in die Filmwirtschaft in sauberes Geld verwandelte. Während schon Ende der 80er-Jahre im Martial-Arts-Film die Screwball-Elemente immer stärker wurden, übernahm in den 90ern der vollkommen durchstilisierte Crime-Thriller die Aufgabe, Werte wie Loyalität, Ehre und Mut zu transportieren. Dass dabei Gangster als moralische Instanzen ebenso tauglich waren wie Polizisten, war typisch für das kantonesische Kino. Doch nicht nur John Woo hatte die Stilisierung der Rituale des schießwütigen Actionkinos ins Extrem getrieben. Das Hongkong-Kino stieß in nahezu allen Genres an ebenjene ästhetischen Grenzen, die es mehr als zehn Jahre lang exzessiv ausgeweitet hatte. Momentan erholt sich die Filmwirtschaft jedenfalls langsam – und setzt kräftig auf Selbstironie: Alle drei Filme aus Hongkong, die in der Mitternachtsschiene des Forums laufen, sind sich der abgenutzten Klischees ihres Genres bewusst. Also werden sie erst recht benutzt und der Lächerlichkeit preisgegeben.

Auch in „Comeuppance“ sind die Triaden nicht etwa ein ehrenhaft kämpfender Männerbund, sondern ein hysterischer Haufen mit zweifelhaften Methoden. Die Helden sind: ein milde lächelnder Kommissar, ein dusseliger Reporter und ein vereinsamter Fotolaborant. Es wird nicht einmal geschossen oder geprügelt, die Gangster werden diskret mit Gift aus dem Leben befördert. „Comeuppance“ ist eher „Arsen und Spitzenhäubchen“ als „A Better Tomorrow“.

Selbst der alte Haudegen Johnnie To, einer der längstgedienten Regieveteranen der ehemaligen Kronkolonie, begibt sich mit „Help!!!“ in ein Krankenhaus aus Chaos und Klamotte. Die Ärzte lassen pünktlich zum Schichtende das Skalpell fallen, auch mitten in einer Operation, und droht sich jemand vom Dach des Hospitals zu stürzen, fahren sie erst mal ihre Autos in Sicherheit. Also rekrutiert die neue, noch idealistische Ärztin zwei Cowboys mit zweitem Staatsexamen, die in ihrer Freizeit mal schnell einen Luftröhrenzugang legen. Blut spritzt in Fontänen, aber die Zigarette bleibt fest im Mundwinkel.

Diese hysterische Persiflage auf Krankenhausserien bedient sich der weltweit wohl bekannten Versatzstücke und übersteigert sie zum Cartoon, ist aber auch ein ganz konkreter satirischer Angriff auf den erbärmlichen Zustand des Gesundheitssystems in Hongkong. Wenn der Chirurg mit der Kettensäge in die Notaufnahme stürzt, um dort die Lautsprecher von der Wand zu holen, mit denen die Krankenhausverwaltung die Kosten für Wattepads durchsagt, ist dies auch ein Angriff auf die allgegenwärtige Bürokratie.

Gesellschaftlicher Protest, und sei er noch so vorsichtig, war bislang nicht gerade die dringlichste Aufgabe des Hongkong-Kinos. Aber auch andere Anspielungen zeigen, dass der Branche die eigene Situation durchaus bewusst ist. Das Gift, mit dem in „Comeuppance“ die Triaden dezimiert werden, stammt aus einem kleinen Fotolabor, das wegen der Rezession im Filmgeschäft schließen muss, und „Help!!!“ entpuppt sich gar komplett als Film im Film.

Im Abspann wird versichert, dass bei den Dreharbeiten keine Patienten zu Schaden gekommen sind. Wir wollen das mal glauben.

THOMAS WINKLER

„Help!!!“. Regie: Johnnie To und Wai Ka Fai; Hongkong, 89 Min.„Jiang Hu – The Triad Zone“. Regie: Dante Lam; Hongkong, 108 Min.„Comeuppance“. Regie: Derek Chiu; Hongkong 106 Min.